Ich habe kürzlich ein Interview gegeben und dabei ist mir bewusst geworden, wo das Dilemma unserer Gerichte liegen könnte, die Zeugen Jehovas für harmlos halten und sie als nicht demokratie-feindlich bezeichnen. Auch die Zeugen Jehovas selbst stellen sich so dar in der Broschüre Kindeswohl und Elternverantwortung S. 59 unter der Überschrift:
. Rechtstreue statt Demokratie-Feindlichkeit.
Diese interne Broschüre wurde für Zeugen-Eltern geschrieben, die in einen Sorgerechtsprozess verwickelt sind. Sie ist also nur einer kleinen Minderheit der Zeugen Jehovas zugänglich und nicht etwa mit der normalen Literaturbestellung zu erhalten.
Es wundert nicht, dass die Zeugen sich dort von ihrer Schokoladenseite präsentieren und wichtige Details durch Weglassen verschweigen. Es geht in dem Kapitel auch um die Körperschaftsrechte und die juristischen Verfahren.
Mir ist bewusst geworden, dass Gerichte und Öffentlichkeit die Zeugen in der falschen Ebene sehen. Sie meinen, Theokratie bestände neben dem Staat, also womöglich auf gleicher Ebene. Das ist falsch!
Ein Theokrat betrachtet die Staaten gemäß Rö 13:1 in ihren relativen Stellungen als von Gott angeordnet. Nach Apg. 5:29 sagt Paulus, Christen müssten Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als Menschen. obwohl der Theokrat dem Staat Steuern zahlt, verweigert er sich immer dann dort, wo eine staatliche Vorschrift seiner Glaubensüberzeugung widerspricht.
Zeugen Jehovas bilden ein weltweites Volk. Das ist keine Theorie, sondern Praxis.
Sie wähnen sich als das auserwählte Volk Gottes, ebenso wie es die Juden tun oder auch Muslime. Sie bezeichnen sich als das geistige Israel und behaupten, Gott hätte den Juden seine Gunst entzogen und sie nunmehr den Zeugen Jehovas gewährt. Da Gott der Souverän ist, Jesus sein Regent mit 144.000 Mitregenten, die himmlische Regierung, lehnen Zeugen Jehovas weltweit irdische Regierung ab und gehen nicht wählen, denn sie haben ja bereits gewählt. Zeugen Jehovas sind also ausdrücklich keine Demokraten!
Die Politik beschäftigt sich zunehmend mit Parallelgesellschaften.
Eine Parallelgesellschaft wäre eine Gesellschaft neben unserer Gesellschaft,
also auf derselben Ebene. Das ist Theokratie ausdrücklich nicht.
Theokratie sieht sich über den Staaten und Gesellschaften. Die göttliche allen Staaten übergeordnete Instanz darf daher auch lügen, wenn es der Sache dient (z. B. wenn Literatur durch Grenzkontrollen geschmuggelt werden), sich verweigern (Wehrdienst, Krieg und Ersatzdienste) und sogar betrügen (Nachversicherung).
Ein Theokrat ist nur Gott Rechenschaft schuldig.
Diese Einstellung können wir aktuell bei allen monotheistischen Religionen beobachten. Sie ist gefährlich. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, weshalb die Zeugen Jehovas eine interne Justiz haben und Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern nicht den Behörden gemeldet, bzw. Unterlagen dazu vernichtet haben, damit sie nicht in falsche Hände fallen.
Der Staat täte gut daran vor diesem Hintergrund die Anerkennung zur Körperschaft des Öffentlichen Rechts neu zu beleuchten. Selbst das Kirchenrecht findet ja seine Grenzen bei Straftaten wie Kindesmissbrauch. Andernfalls ist Selbstjustiz Tür und Tor geöffnet.
Insgesamt stellt sich die Frage, ob das bestehende Kirchenrecht, das noch aus der Weimaer Republik stammt überhaupt noch zeitgemäß ist nicht dringend überarbeitet werden muss. Die derzeitige Rechtssprechung, die das Recht der Eltern auf Religionsausübung über das Kindesrecht stellt, führt teilweise zu menschenverachtenden Praktiken, die nicht mehr zeitgemäß sind (Beschneidung, mangelnde Entfaltung der Persönlichkeit).
Würde man Art 1 und 2 GG, die voran stehen auch als vorrangig betrachten, dann träten die Rechte der Eltern und Kirchen dahinter zurück. Unsere Justiz hätte schon heute die Möglichkeit dazu. – Nur die Lobby der Religionen hindert sie daran.
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