Bericht und Antrag des Rechtsausschusses

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BREMISCHE BÜRGERSCHAFT
Landtag
17. Wahlperiode
Drucksache 17 / 1753
(zu Drs. 17/819 und 17/913)
20. 04. 11
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
Gesetz über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts an
Jehovas Zeugen in Deutschland – Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2009 (Drs.
17/819)
Gesetz über die Veränderung des Verfahrens hinsichtlich der Anerkennung von Kirchen
und Religionsgemeinschaften sowie Weltanschauungsgemeinschaften als Körperschaft
des öffentlichen Rechts – Antrag der FDP vom 1. September 2009 (Drs.
17/913)
A. Bericht
Die Bürgerschaft (Landtag) überwies in ihrer Sitzung am 1. Oktober 2009 den mit der
Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2009 (Drucksache 17/819) vorgelegten Gesetzentwurf
über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts an Jehovas
Zeugen in Deutschland nach Unterbrechung der ersten Lesung an den Rechtsausschuss
zur weiteren Beratung und Berichterstattung.
Zur Begründung des mit der Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2009 vorgelegten Gesetzentwurfs
zur Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts an
Jehovas Zeugen in Deutschland führt der Senat in seiner Mitteilung im Einzelnen
aus, die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Deutschland habe beantragt, ihr
auch für den Bereich der Freien Hansestadt Bremen die Rechte einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts zu verleihen. Gemäß Artikel 140 Grundgesetz, Artikel 137
Absatz 5 Satz 2 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Religionsgemeinschaften
auf Antrag diese Rechte zu verleihen, wenn sie durch ihre Verfassung
und die Zahl der Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Nach Artikel 61 Absatz 2
Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen erfolgt die Verleihung dieser Rechtsstellung
durch Gesetz. Die Verfassungsvorschrift lautet: „Anderen Religions- oder
Weltanschauungsgemeinschaften kann durch Gesetz die gleiche Rechtsstellung verliehen
werden, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr
der Dauer bieten.“
Die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Deutschland mit Sitz in Berlin erhielt
am 13. Juni 2006 nach langjährigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, die bis
zum Bundesverfassungsgericht führten, durch das für die Verleihung zuständige
Land Berlin den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aufgrund eines
zuvor ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin, das sich im Wesentlichen
mit folgenden Fragen auseinandersetzte:
1. Unterlaufen die Jehovas Zeugen den staatlichen Schutz Minderjähriger im Falle
der Zustimmungsverweigerung der Eltern zu lebenserhaltenden Bluttransfusionen?
2. Wirken die Jehovas Zeugen im Falle des Austritts oder Ausschlusses eines Mitglieds
aktiv auf die Trennung von Ehepartnern oder Familien hin?
3. Gefährden die Jehovas Zeugen durch für ihre Mitglieder verbindliche Erziehungsvorgaben
das Kindeswohl?
Diese Fragen wurden durch das Oberverwaltungsgericht Berlin in seiner Entscheidung
im Ergebnis verneint. Unmittelbar nach der durch das Land Berlin erfolgten sogenannten
Erstverleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beantragte
die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in allen anderen 15 Ländern
ebenfalls die Verleihung der Körperschaftsrechte.
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In seiner Begründung führt der Senat aus, dass Jehovas Zeugen eine hinreichende
Finanzausstattung nachgewiesen und die für die Gewähr auf Dauer erforderliche
Bestehenszeit von mehr als 30 Jahre habe sowie die Existenz intensiven und aktiven
religiösen Lebens erfülle. Sie übertreffe die im Land Bremen geforderte Mitgliederzahl
bei Weitem.
Zu der vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderung, dass eine den besonderen
Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstrebende Religionsgemeinschaft
Grundrechte Dritter nicht beeinträchtigen oder gefährden dürfe, wurde
in der Mitteilung des Senats im Einzelnen nicht Stellung genommen.
Des Weiteren unterbrach die Bürgerschaft (Landtag) in ihrer Sitzung am 1. Oktober
2009 die erste Lesung zu dem von der damaligen Fraktion der FDP mit der Drucksache
17/913 (Neufassung der Drs. 17/892) eingebrachten Gesetzesantrag über die
Veränderung des Verfahrens hinsichtlich der Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften
sowie Weltanschauungsgemeinschaften als Körperschaften des
öffentlichen Rechts und überwies diesen gleichfalls an den Rechtsausschuss zur weiteren
Beratung und Berichterstattung.
Die damalige Fraktion der FDP verfolgte mit ihrem Antrag vom 1. September 2009
eine Änderung von Artikel 61 Satz 2 Landesverfassung durch Streichung der Wörter
„durch Gesetz“ und Anfügung eines Satzes 3 mit dem Wortlaut: „Das Nähere regelt
das Gesetz.“ Mit der Änderung der Landesverfassung sollte die Exekutive durch Gesetz
ermächtigt werden, über die Verleihung der Körperschaftsrechte zu entscheiden.
Des Weiteren verfolgte die damalige Fraktion der FDP mit ihrem Gesetzesantrag
eine Änderung des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen anderer
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der Freien Hansestadt Bremen
(Kirchensteuergesetz – KiStG).
I. Beratungsverfahren des Rechtsausschusses
Der Rechtsausschuss nahm seine Beratungen in seiner Sitzung am 21. Oktober 2009
auf und bat den Senator für kirchliche Angelegenheiten um Informationen zu dem
dem Gesetzesantrag vorausgegangenen Verfahren. Hierzu nahm der Senator für
kirchliche Angelegenheiten mit Schreiben vom 5. November 2009 im Einzelnen Stellung
und erläuterte eingangs das in Berlin durchgeführte Verfahren. Die Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen bat das Land Berlin im Jahr 1990 um Bestätigung ihrer
Rechtsstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts unter Verweis auf eine Urkunde
des Ministerrats der DDR vom 14. März 1990 und beantragte hilfsweise eine
Verleihung der Körperschaftsrechte nach Artikel 140 Grundgesetz, Artikel 137 Absatz
5 Satz 2 Weimarer Verfassung. Nach einer Vereinbarung der Kultusministerkonferenz
über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts
an Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 12. März 1954
wird empfohlen, vor der Entscheidung im Einzelfall eine Abstimmung mit den anderen
Ländern des Bundesgebietes vorzunehmen, da die Verleihung in einem Land die
anderen zwar nicht rechtlich binden, tatsächlich aber in ihrer Freiheit einschränken
könne. In der Folge informierte das Land Berlin die anderen Länder über den Antrag
der Zeugen Jehovas. Der Antrag und das weitere Verfahren – Ablehnungsbescheid,
Widerspruchs- und Gerichtsverfahren – waren seit 1992 nahezu regelmäßig Thema
innerhalb der Jahrestagung der für kirchliche Angelegenheiten zuständigen Referentinnen
und Referenten der Länder. Mit Urteil vom 26. Juni 1997 hob das Bundesverwaltungsgericht
die Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin und des Oberverwaltungsgerichts
Berlin auf, nach denen das Land Berlin zur Verleihung der Körperschaftsrechte
zunächst verpflichtet worden war. Die gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
erhobene Verfassungsbeschwerde der Zeugen Jehovas war erfolgreich.
Das Bundesverfassungsgericht hob mit Urteil vom 19. Dezember 2000 die
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auf und verwies das Verfahren an das
Bundesverwaltungsgericht zurück. Das Bundesverfassungsgericht stellte Aufklärungsbedarf
über das tatsächliche Verhalten der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen
fest. Letztlich verwies auch das Bundesverwaltungsgericht die Angelegenheit zur
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Berlin zurück.
Zur Bearbeitung der konkreten Prüfaufträge bat die Berliner Senatsverwaltung für
Wissenschaft, Forschung und Kultur alle Länder um Übermittlung relevanter Sachverhalte
zur Beurteilung der Rechtstreue der Religionsgemeinschaft. Die daraufhin
an die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, das Landesinstitut
für Schule, das Amt für soziale Dienste (Erziehungsberatungsstelle) und den
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Magistrat der Stadt Bremerhaven (Dezernat Jugend und Familie) weitergeleitete Auskunftsbitte
brachte keine für das Gerichtsverfahren relevanten Erkenntnisse. Nach
der Erlangung der Rechtskraft der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin
verlieh der Berliner Senat am 13. Juni 2006 der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen
in Deutschland die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Zum Verfahren in der Freien Hansestadt Bremen führt der Senator für kirchliche
Angelegenheiten aus, dass mit der Verleihung der Körperschaftsrechte durch das
Land Berlin Jehovas Zeugen im gesamten Bundesgebiet die Rechtsfähigkeit erlangt
haben. Die darüber hinausgehende rechtliche Sonderstellung, insbesondere die Gewährung
von Hoheitsrechten, sei auf das Land Berlin beschränkt. Die Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen habe im Juli 2006 einen Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte
auch für den Bereich der Freien Hansestadt Bremen gestellt. Nahezu
zeitgleich seien gleichlautende Anträge in allen anderen Ländern eingereicht worden.
Mit Hilfe der daraufhin durchgeführten Abstimmung mit den Ländern sollte
eine Prognose erstellt werden, ob die Religionsgemeinschaft sich rechtstreu verhalte
und keine unter staatlichem Schutz stehenden Grundrechte Dritter beeinträchtigt
oder gefährdet werden. Im weiteren Verfahren wurde eine Ressortumfrage durch
den Senator für kirchliche Angelegenheiten mit einem umfangreichen Fragenkatalog
eingeleitet. Gleichzeitig wurde der Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte der
Bremischen Evangelischen Kirche und der Sektenbeauftragte des Katholischen Gemeindeverbandes
beteiligt. Die Umfrage bei den Senatsressorts und bei den Kirchen
habe keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich Jehovas Zeugen nicht rechtstreu
verhalten. In den anderen Ländern habe sich eine vergleichbare Informationslage
ergeben. Der von den Ländervertretern formulierte gemeinsame Abschlussvermerk,
der um die Besonderheiten der Länder ergänzt wurde, habe mit dem Ergebnis
geendet, dass derzeit keine Gründe gegen eine Verleihung der Rechte einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts an Jehovas Zeugen bekannt seien.
In seiner Sitzung am 11. November 2009 bat der Rechtsausschuss den Senator für
kirchliche Angelegenheiten um eine ergänzende Stellungnahme zu der Frage, ob
die im April 2007 durchgeführte Ressortumfrage auch eine Abfrage bei den Krankenhäusern
hinsichtlich des Umgehens mit Bluttransfusionen bei Angehörigen der Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen beinhaltet habe.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 teilte der Senator für kirchliche Angelegenheiten
mit, dass nach Auskunft der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend
und Soziales innerhalb der Umfrage im April 2007 zu Erkenntnissen über „einschlägige
Vorfälle“ mit Angehörigen der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen keine
ausdrückliche Befragung der Krankenhäuser stattgefunden habe. In dem für das
Transfusionsgesetz zuständigen Referat 34 bei der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit,
Jugend und Soziales habe es keine Erkenntnisse über einschlägige Vorfälle
mit Angehörigen der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen im Land Bremen
gegeben. Eine Erfassung von sogenannten einschlägigen Vorfällen oder Erfahrungen
in Bezug auf Bluttransfusionen mit Angehörigen der Religionsgemeinschaft Jehovas
Zeugen finde in den Krankenhäusern nicht statt. Anlässlich der auf Veranlassung
des Rechtsausschusses erfolgten Rückfrage bei den Transfusionsbeauftragten
des Klinikums Bremen-Mitte und des Klinikums Reinkenheide in Bremerhaven
seien keine einschlägigen Vorfälle in den letzten Jahren bekannt geworden. Im Einzelfall
könne dies zwar nicht ausgeschlossen werden, da aber solche Vorfälle von
den behandelnden Krankenhausärzten lediglich in den unter die ärztliche Schweigepflicht
fallenden Patientenakten dokumentiert würden, seien die Informationen
nicht zugänglich.
Der Rechtsausschuss setzte die weitere Beratung in seiner Sitzung am 9. Dezember
2009 aufgrund der erst kurzfristig vor der Sitzung zugegangenen Stellungnahme des
Senators für kirchliche Angelegenheiten aus.
In seiner Sitzung am 20. Januar 2010 befasste sich der Rechtsausschuss eingehend
mit den Stellungnahmen des Senators für kirchliche Angelegenheiten vom 5. November
2009 sowie vom 9. Dezember 2009 betreffend Bluttransfusionen und beschloss,
im weiteren Beratungsgang die aus dem Berliner Verfahren gewonnenen
Erkenntnisse zu beleuchten.
Am 10. März 2010 beschloss der Rechtsausschuss, einen Vertreter der Berliner Senatskanzlei
anzuhören. In seiner Sitzung am 14. April 2010 verständigte sich der Ausschuss
über den weiteren Zeitrahmen seiner Beratungen. Die Anhörung des mit dem
Berliner Verfahren im Wesentlichen vertrauten Referenten aus der Berliner Senats—
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kanzlei fand am 9. Juni 2010 in nicht öffentlicher Sitzung mit folgender Fragestellung
statt:
1. Inwiefern gab es im Rahmen des Berliner Verfahrens auf den Antrag der Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen, ihr die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen
Rechts zu verleihen, Abstimmungen und Mitwirkungen anderer Bundesländer?
2. Inwiefern wichen die Sachverhalte im Hinblick auf die Organisationsform der
Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen, ihre Glaubenssätze und die daraus abgeleiteten
und praktizierten Ge- und Verbote in den anderen Bundesländern
von der Situation, wie sie sich in Berlin darstellte, ab, inwiefern wurden solche
Abweichungen gegebenenfalls in das Berliner Verfahren einbezogen?
3. Welches waren die tragenden Gründe, die die befassten Gerichte schließlich
bewogen haben, der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen die Rechte einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzusprechen?
4. Blieben Argumente oder Sachverhalte durch die Gerichte unberücksichtigt, obwohl
aus Sicht der Berliner Senatskanzlei – oder soweit bekannt, aus Sicht der
anderen Bundesländer – Zweifel an der notwendigen Verfassungstreue der Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen bestanden?
5. Wurden insbesondere folgende Fragen in die gerichtlichen Verfahren einbezogen,
und wie wurden diese beurteilt:
Wie wurde das Demokratieverständnis der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen
(u. a. Ablehnung von Wahlen), die soziale Abschottung von Kindern und die
Ablehnung eines Studiums als mögliche Bildungsperspektive für Jugendliche
durch die Religionsgemeinschaft, Kontaktsperregebote der Religionsgemeinschaft
für ihre Mitglieder zu ausgestiegenen Familienmitgliedern sowie die Ablehnung
von Bluttransfusionen und das damit im Zusammenhang stehende Vorgehen
der Religionsgemeinschaft gegenüber betroffenen Familien im Hinblick
darauf beurteilt, ob das künftige Verhalten der Religionsgemeinschaft die in Artikel
79 Absatz 3 Grundgesetz umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien,
die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die
Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes
beeinträchtigen oder gefährden?
6. Gibt es aus dem Berliner Anerkennungsverfahren ein gemeinsames Fazit der
Länder, die das Verfahren begleitet haben, und inwiefern waren hierfür die gerichtlichen
Entscheidungen prägend?
7. Gibt es aus Sicht der Berliner Senatskanzlei nach Verleihung der Rechte einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen
neue Argumente oder Sachverhalte, die gegen die Verleihung der Rechte
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Religionsgemeinschaft Jehovas
Zeugen sprechen?
Im Ergebnis stellte der Ausschuss nach Anhörung des Berliner Vertreters fest, dass
das Land Berlin in dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin mit Blick
auf das in verwaltungsgerichtlichen Verfahren übliche Amtsermittlungsprinzip auf
das Stellen von Beweisanträgen verzichtet hatte, sodass eine Beweiserhebung hinsichtlich
der typisierenden Tatsachen unterblieben war. So wurde unter anderem zur
Frage des durch die Religionsgemeinschaft ausgeübten Drucks auf Eltern, medizinisch
erforderliche Bluttransfusionen für ihre Kinder abzulehnen, weder vorgetragen
noch ermittelt.
Im September 2010 erhielt der Ausschuss Kenntnis von der umfassenden Stellungnahme
des Justizministeriums Baden-Württemberg zur verfassungsrechtlichen Frage
der Rechtstreue der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen. Nach intensiven Recherchen
hinsichtlich der Verfassungstreue der Religionsgemeinschaft sowie der Frage
der Verletzung von Menschenrechten kommt das Justizministerium Baden-Württemberg
in seiner gutachterlichen Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass dem Antrag
der Zeugen Jehovas auf Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts
für das Land Baden-Württemberg nicht stattgegeben werden müsse. Anders als vom
Oberverwaltungsgericht Berlin seien bei der Prüfung insbesondere die Aussagen
ehemaliger Zeugen Jehovas, ihrer Angehörigen, von Vertretern von Selbsthilfevereinen
und eines erfahrenen Diplompsychologen einbezogen worden. Des Weite—
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ren seien die für die Mitglieder bestimmten Schriften sowie eine aktuelle erziehungswissenschaftliche
Dissertation ausgewertet worden. Im Wortlaut wird in der Stellungnahme
im Ergebnis festgestellt:
„1. Baden-Württemberg ist verfassungsrechtlich befugt, die Voraussetzungen für
die Verleihung der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft für das Land
Baden-Württemberg auch nach einer sogenannten Erstverleihung durch ein
anderes Bundesland eigenständig zu prüfen.
2. Die Frage, ob die Zeugen Jehovas die ,Gewähr der Rechtstreue’ im Hinblick auf
die Beeinträchtigung oder Gefährdung der Grundrechte Dritter bieten, ist für
Baden-Württemberg noch nicht verbindlich gerichtlich entschieden. Insoweit
besteht die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Würdigung, als sie bisher vom
Oberverwaltungsgericht Berlin für das Land Berlin vertreten worden ist. Das
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin weist unserer Auffassung nach Mängel
auf.
3. Es kann vertretbar angenommen werden, dass die Religionsgemeinschaft der
Zeugen Jehovas keine Gewähr der Rechtstreue bietet:
— Sie beeinträchtigt und gefährdet wegen des von ihr geforderten Verbots
des Kontakts mit ausgetretenen oder ausgeschlossenen Mitgliedern der Zeugen
Jehovas das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und der Ehe
(Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz).
— Damit hält sie zugleich mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln austrittswillige
Mitglieder in der Religionsgemeinschaft fest und beeinträchtigt und
gefährdet das Grundrecht auf (negative) Religionsfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz).
— Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gefährdet wegen des nach
ihren Regeln bestehenden Verbots, auch im äußersten Notfall Blut- oder
Hauptbestandteile des Blutes anzunehmen, Leib und Leben minderjähriger
Kinder und Jugendlicher (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz).
4. Nicht sicher nachgewiesen werden konnte, obwohl gewisse Anhaltspunkte dafür
vorliegen, eine generelle Gefährdung des Kindeswohls im Übrigen aufgrund
von körperlichen Züchtigungen, des Umgangs mit Kindesmissbrauch, der Störung
der Persönlichkeitsentwicklung und der Verweigerung einer höheren Schulbildung
oder eines Studiums.
5. Gewisse Anhaltspunkte lagen vor, dass die Religionsgemeinschaft in bestimmten
Fällen zur Begehung von Straftaten ermutigt, und zwar zur Strafvereitelung
in Fällen des Kindesmissbrauchs (§ 258 Strafgesetzbuch) sowie zur Verletzung
amts- oder berufsbezogener Schweigepflichten (u. a. § 203 Strafgesetzbuch) und
zur uneidlichen Falschaussage (§ 153 Strafgesetzbuch) und Strafvereitelung (§ 258
Strafgesetzbuch) mit Blick auf Aussagen vor Gericht. Ein sicherer Nachweis war
hier jedoch nicht möglich.
6. Hilfsweise ist die Auffassung vertretbar, dass der Antrag auf Verleihung der besonderen
öffentlich-rechtlichen Körperschaftsrechte auch dann abgelehnt werden
kann, wenn die Gewähr der Rechtstreue trotz aller zumutbaren Aufklärungsversuche
unklar bleibt.
7. Die sich aus der europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergebenden Vorgaben
würden durch die Ablehnung des Antrags nach Auffassung des Justizministeriums
Baden-Württemberg nicht verletzt werden. Dies gilt auch, wenn
man das kürzlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
zu einem Verbot der Zeugen Jehovas in Russland berücksichtigt.
8. In Baden-Württemberg geht es nicht um ein Verbot der Tätigkeit der Zeugen
Jehovas, sondern um die Verleihung eines Privilegiertenstatus. Dieser kann nach
Auffassung des Justizministeriums Baden-Württemberg wegen Gefährdung der
Grundrechte Dritter versagt werden.“
Nach Auswertung und Beratung der Stellungnahme des Justizministeriums Baden-
Württemberg beschloss der Rechtsausschuss in seiner Sitzung am 1. Dezember 2010
die Durchführung einer Anhörung am 16. Februar 2011.
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II. Öffentliche Anhörung am 16. Februar 2011
Zu der öffentlichen Anhörung am 16. Februar 2011 wurden sechzehn Sachverständige
sowie ein Vertreter der Zeugen Jehovas eingeladen. Die Beratung gliederte sich
in die nachfolgend aufgeführten drei Themenkomplexe mit weiteren Unterthemen,
zu denen die Referenten im Einzelnen Stellung nahmen:
Erster Themenkomplex
Die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen
— Darstellung der Glaubensgrundsätze – kurzer religionswissenschaftlicher und
religionspsychologischer Diskurs
dazu:
Prof. Dr. Gritt Klinkhammer, Fachbereich Religionswissenschaften, Universität Bremen,
Prof. Dr. Sebastian Murken, Arbeitsgruppe Religionspsychologie des Forschungszentrums
für Psychobiologie und Psychosomatik, Universität Trier.
Zweiter Themenkomplex
Kriterien für die Gewährung der Rechtstreue einer Religionsgemeinschaft
1. Erläuterung der Stellungnahme des Justizministeriums Baden-Württemberg
dazu:
Ministerialrat Eberhard Birkert, Referatsleiter beim Justizministerium Baden-
Württemberg,
Richter am Verwaltungsgericht Dr. Jens Hofmann, Referent beim Justizministerium
Baden-Württemberg.
2. Gefährdung von Ehe und Familie (Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz)
— Beeinträchtigt oder gefährdet das Verhalten der Religionsgemeinschaft und
deren Mitglieder den gebotenen Schutz von Ehe und Familie?
— Ausgrenzung der der Religionsgemeinschaft zugehörigen Familienmitglieder?
— Aktive Hinarbeit auf die Trennung von Ehepartnern und Familie?
dazu:
Pastor Helmut Langel, Weltanschauungsbeauftragter der Bremischen Evangelischen
Kirche,
Bernd Galeski, Netzwerk Sektenausstieg e. V., Barmstedt,
Margit Ricarda Rolf, Zeugen Jehovas-Ausstieg gGmbH in Gründung Hamburg,
Nora Herzog, AUSSTIEG e. V. Karlsruhe,
Rechtsanwalt Jürgen Zillikens, KIDS e. V. (Kinder in destruktiven Sekten), Brilon.
3. Beeinträchtigung und Gefährdung der Religionsfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz)
— Hält die Religionsgemeinschaft austrittswillige Mitglieder in der Gemeinschaft
fest?
dazu:
Bernd Galeski (siehe oben),
Margit Ricarda Rolf (siehe oben).
4. Gefahr von Leib und Leben Erwachsener und Minderjähriger (Artikel 2 Absatz
2 Satz 1 Grundgesetz)
— Gefährdet die Religionsgemeinschaft durch das Verbot der Annahme von
Bluttransfusionen Leib und Leben Minderjähriger?
— Erschwert oder unterläuft die Religionsgemeinschaft staatliche Schutzmaßnahmen?
dazu:
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Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz, Professor-Hess-Kinderklinik, Klinikum Bremen-
Mitte,
Dr. med. Burkhard Hofmann, Rotes-Kreuz-Krankenhaus, Bremen.
5. Kindeswohl
a) Körperliche Züchtigung: Hält die Religionsgemeinschaft zur Verletzung des
absoluten Gewaltverbots in der Kindererziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB) an?
b) Kindesmissbrauch: Gibt es bei der Religionsgemeinschaft Fälle des Missbrauchs,
und lässt der Umgang damit Zweifel an der Rechtstreue aufkommen?
c) Schulbildung und Persönlichkeitsentwicklung: Besteht eine bildungsfeindliche
Grundhaltung der Religionsgemeinschaft, und welche Konsequenzen
ergeben sich daraus für die betroffenen Kinder?
dazu:
Dr. Jörg Schilling, Referatsleiter bei der Senatorin für Bildung und Wissenschaft,
Gabriele Schoppe, Mitarbeiterin des Jugendamtes Bremen, Amt für Soziale
Dienste bei der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales,
Rechtsanwalt Jürgen Zillikens, KIDS e. V. (siehe oben),
Pastorin Ingrid Witte, Weltanschauungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen
Kirche,
Siegfried Koloschin zu 5. a) und b), AUSSTIEG e. V., Karlsruhe,
Ursula Meschede zu 5. c), AUSSTIEG e. V., Karlsruhe,
Bernd Galeski (siehe oben),
Margit Ricarda Rolf (siehe oben).
Dritter Themenkomplex
Stellungnahme eines Vertreters der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Deutschland
dazu:
Gajus Glockentin, Justitiar, Jehovas Zeugen in Deutschland.
Die Stellungnahmen der Referentinnen und Referenten sowie deren Antworten auf
die anschließend seitens der Ausschussmitglieder aufgeworfenen Fragen in der öffentlichen
Anhörung wurden in einem Wortprotokoll dokumentiert.
III. Ergebnisse der öffentlichen Anhörung am 16. Februar 2011
Die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen
— Darstellung der Glaubensgrundsätze -kurzer religionswissenschaftlicher und religionspsychologischer
Diskurs
Aufgrund der Absage von Prof. Dr. Sebastian Murken von der Arbeitsgruppe Religionspsychologie
des Forschungszentrums für Psychobiologie und Psychosomatik der Universität
Trier und des am Tag der Anhörung wegen einer kurzfristigen Erkrankung
erfolgten Ausfalls von Prof. Dr. Gritt Klinkhammer musste dieser Punkt ersatzlos entfallen.
Kriterien für die Gewährung der Rechtstreue einer Religionsgemeinschaft
1. Erläuterung der Stellungnahme des Justizministeriums Baden-Württemberg
Die Vertreter des Justizministeriums Baden-Württemberg, Ministerialrat Eberhard
Birkert sowie der zuständige Referent Dr. Jens Hofmann, skizzierten eingangs das
Verfahren in Baden-Württemberg und nahmen im Weiteren zur Gesetzeslage, zu
den rechtlichen Voraussetzungen und zu den Gründen, die zu der Versagung des
Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts in Baden-Württemberg geführt haben,
Stellung.
In Baden-Württemberg entscheidet die Landesregierung über den Antrag über die
Anerkennung einer Körperschaft öffentlichen Rechts für eine Glaubensgemeinschaft.
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Zur Prüfung des verfassungsrechtlichen Aspekts der Rechtstreue habe das von der
Landesregierung beauftragte Justizministerium Material gesichtet und eigene Recherchen
im Internet und in weiteren Schriften vorgenommen sowie Gespräche mit
ehemaligen Zeugen Jehovas, Angehörigen, Vertretern von Selbsthilfevereinen und
einem in der Aussteigeberatung tätigen Diplompsychologen geführt.
Gegenstand der Prüfung war die Beeinträchtigung oder Gefährdung von Grundrechten
Dritter: Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Religionsgemeinschaft und
ihre Mitglieder auf die Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz berufen können,
habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine den besonderen Status
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anstrebende Religionsgemeinschaft Grundrechte
Dritter nicht beeinträchtigen oder gefährden dürfe. Das Bundesverfassungsgericht
lässt es wegen der in religiösen Dingen gebotenen Neutralität des Staates nicht
zu, den Glauben und die Lehre als solche zu bewerten, vielmehr sei das tatsächliche
Verhalten maßgeblich. Allerdings sei es nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesverwaltungsgerichts statthaft, aus der Lehre, aus
dem Glauben Rückschlüsse auf das zu erwartende Verhalten zu ziehen. Die Betrachtung
der Schriften der jeweiligen Religionsgemeinschaft und daraus zu ziehende
Rückschlüsse sind zulässig.
Der Ablehnungsentscheidung der Landesregierung Baden-Württemberg liegen folgende
Gesichtspunkte zugrunde:
Nach Artikel 6 Grundgesetz genießen Ehe und Familie einen besonderen Schutz.
Aus den Schriften der Zeugen Jehovas und aus den Anhörungen seien von der Religionsgemeinschaft
aufgestellte Verhaltensregeln erkennbar gewesen, die das Verhalten
der Mitglieder wesentlich prägen und steuern. Der dort vorgegebene Kontaktabbruch
– mindestens die wesentliche Kontaktreduzierung – gegenüber einem ausgeschlossenen
oder ausgetretenen Familienmitglied gefährdet den in Artikel 6 Grundgesetz
verankerten Schutz der Familie. Zwar werde von beispielsweise im Haushalt
lebenden Kindern nicht der Auszug verlangt, jedoch werden Einschränkungen im
Umgang gefordert, die als Ausgrenzung und als eine Gefährdung der Familie als Lebensgemeinschaft
zu bewerten seien.
Auch bei nicht mehr im Haushalt lebenden Familienmitgliedern greife ein verfassungsrechtlicher
Schutz, sodass die in diesen Fällen strengeren Vorgaben eines Kontaktverbotes
– mindestens die Vorgabe einer wesentlichen Einschränkung des Kontakts
– eine Verletzung des Schutzanspruches dieser Gemeinschaft bedeuten könne. Auch
wenn der Wortlaut der Schriften einen gewissen Entscheidungsspielraum des Einzelnen
suggeriere, haben die Anhörungen ergeben, dass durch das Benennen von
Beispielen und Vorbildern eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit bis hin zur
religiösen Drohung – etwa mit der Vernichtung durch Jehova – empfunden werde.
Der verfassungsrechtlich normierte Schutz der Ehe ist berührt, wenn einer der Partner
aus der Religionsgemeinschaft ausscheidet, und dem anderen mindestens erhebliche
Beschränkungen vorgegeben oder in den Schriften als vorbildlich dargestellt
werden. In der Praxis werde dementsprechend gehandelt, sodass insoweit von
einer Beeinträchtigung oder Gefährdung der Ehe ausgegangen werden könne.
Trete ein Ehepartner erst nachträglich der Glaubensgemeinschaft bei, sei keine wesentliche
Gefährdung oder Beeinträchtigung in den Schriften und durch die Anhörungen
feststellbar gewesen.
Zur Religionsfreiheit nach Artikel 4 Absatz 1 und 2 Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich zur Prüfung aufgegeben, ob austrittswillige Mitglieder
zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln in der Gemeinschaft
festgehalten werden. Die nach Artikel 6 Grundgesetz feststellbaren Beeinträchtigungen
könnten auch austrittswillige Personen aus Furcht vor Isolation oder Kontaktabbruch
zum Verbleib in der Religionsgemeinschaft veranlassen, sodass eine Gefährdung
des Grundrechtes auf Religionsfreiheit anzunehmen sei.
Eine Gefährdung von Leib und Leben Minderjähriger nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1
Grundgesetz wurde ebenfalls geprüft. Während der Erwachsene selbst entscheiden
könne, ob er sich durch Verweigerung einer Bluttransfusion gefährden wolle oder
nicht, sind bei Minderjährigen die Eltern für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich,
die zudem unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Zur Überprüfung des
Gefährdungspotenzials habe das Justizministerium bei der Auswertung der Literatur
und Anhörungen einige wenige gravierende Fälle festgestellt. In Baden-Württemberg
habe sich auch ein Todesfall ereignet, sodass letztlich im Ergebnis eine Ge—
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fährdung gegeben sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich ausgeführt,
dass in diesem Bereich auch einige Einzelfälle ausreichen können, um eine entsprechende
Gefahrenprognose zu stellen, wenn sich aus den sonstigen Umständen, auch
aus den Schriften, ein gewisses typisches Verhalten ableiten lasse.
Bei den Mitgliedern der Religionsgemeinschaft werde nicht nur verbal die Haltung
zum Bluttransfusionsverbot gestärkt, sondern durch Ausübung von Druck auf die
Eltern werde der staatliche Schutzgedanke unterlaufen, sodass erhebliche Gefährdungen
für Kinder nicht auszuschließen seien.
Andere Gefährdungen des Kindeswohls – durch Kindesmissbrauch, körperliche Züchtigung
– oder auch Anstiftung zu Straftaten, Strafvereitelung, falsche uneidliche Aussagen
habe man als nicht ausreichend nachgewiesen angesehen. Zwar sei eine Außenseiterstellung
in der Schule oder eine kritische Einstellung zu höherer Bildung
belegt worden. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes sei das allein
nicht ausreichend, sodass entsprechend entschieden worden sei.
Das Justizministerium Baden-Württemberg habe im Rahmen einer Gesamtabwägung
einerseits die Religionsfreiheit der Jehovas Zeugen und andererseits die festgestellten
Grundrechtsbeeinträchtigungen beleuchtet und im Ergebnis festgestellt, dass insoweit
die Gefährdung der Grundrechtsposition Dritter überwiege.
2. Gefährdung von Ehe und Familie (Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz)
Der Weltanschauungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche, Pastor
Langel, berichtete aus seiner praktischen Erfahrung aus langjähriger Beratungstätigkeit,
in der folgende Aspekte stets eine große Rolle gespielt haben: Das Züchtigungsrecht
der Eltern gegenüber den Kindern sei aufgrund praktischer Erfahrungen
in der Familie immer wieder in der Beratung aufgetaucht. Es stelle sich somit die
Frage, inwieweit eine Organisation, die die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen
Rechts beanspruche, sich hinsichtlich des Themas Gewalt sehr vorbildlich zu
verhalten habe, sodass Gewalt praktisch ausgeschlossen und nicht aufgrund des Glaubens
an Jehova ein Kind geschlagen werde.
Zur Frage des in verschiedenen Sekten oder Religionsgemeinschaften bestehenden
sogenannten Trennungsbefehls berichtete der Weltanschauungsbeauftragte aus seinen
Beratungsgesprächen, dieser könne innerhalb einer Familie, Ehe und zwischen
Eltern und Kindern zu sehr konfliktträchtigen Situationen führen. Es werde von der
Religionsgemeinschaft erwartet, dass der noch an Jehova Glaubende sich von dem
sich einer anderen Glaubens- oder Lebensanschauung nähernden Abtrünnigen trenne
und keinerlei Kontakt mehr halte. Hier stelle sich die Frage nach dem Wertesystem,
wenn so etwas verlangt werde.
Hinsichtlich der Dialogbereitschaft der Zeugen Jehovas, die in der Regel die Ökumene
verweigern, sei festzustellen, dass kein Dialog mit den Großkirchen oder anderen
ökumenischen Strukturen geführt werde. So bekommen Zeugen Jehovas, die
sich zum Beispiel mit evangelischen oder katholischen Christen oder anderen Glaubensgemeinschaften
treffen, Schwierigkeiten in der Familie. Ihnen werde unterstellt,
sie bewegten sich auf der Seite der Unwahrheit. Dies führe in der Praxis auch gerade
bei jüngeren Menschen oftmals zu Problemen.
Die Angaben zum Züchtigungsrecht gegen Kinder oder der Isolation beim Ausstieg
aus der Religionsgemeinschaft stammen nach Bekunden des Weltanschauungsbeauftragten
ausschließlich aus Gesprächen, die in Bremen mit Aussteigerinnen und
Aussteigern oder mit Menschen, die um eine Beratung gebeten haben, geführt worden
seien. Die Züchtigung der Kinder durch Eltern werde sehr praktisch erfahren,
aber auch in der Literatur der Zeugen Jehovas behandelt. Ferner finden sich Belege
von Züchtigungen in der Medienberichterstattung.
Die Trennungssituation werde insbesondere bei Eheleuten deutlich, die glaubensmäßig
nicht mehr miteinander harmonierten und wo es dann auch nach den Aussagen
der jeweiligen Getrennten von der Seite der Organisation einen erheblichen
Druck gegeben habe, was zu Trennungsproblemen und auch Verlustängsten geführt
habe. Die Trennung führe auch zum Verlust der bisherigen sozialen Bindungen, da
die Gruppe in der Glaubensgemeinschaft festgefügt sei und nach einem Austritt aus
der Glaubensgemeinschaft nicht mehr existiere. Die in den vergangenen Jahren betreuten
Konfliktfälle nehmen tendenziell zwar etwas ab – im Jahr 2010 habe es insgesamt
15 Fälle gegeben. Die Reduzierung könne eventuell darauf hindeuten, dass
die Zeugen Jehovas auch gerade im Zuge der Verfahren auf Zuerkennung der Rechte
— 10 —
einer Körperschaft öffentlichen Rechts sich etwas offener geben. Die häufigsten Anfragen
seien aus dem Bereich der Zeugen Jehovas, Christlicher Fundamentalismus
und Scientology neben einer Reihe anderer neureligiöser Bewegungen und Religionsgemeinschaften
zu verzeichnen. Eindeutig stehen die Beratungsfälle betreffend
Jehovas Zeugen an der Spitze.
Die Vertreter der Aussteigerorganisationen schilderten in der Anhörung im Detail
und anhand umfangreicher Zitate aus den Schriften das Verhalten der Zeugen Jehovas
bezüglich der Gefährdung von Ehe und Familie. Im Ergebnis haben alle Vertreter
von Aussteigerorganisationen bekundet, dass der Ausstieg bei den Zeugen Jehovas
den grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie durch Ausgrenzung
und Hinwirken auf die Trennung von Ehepartnern und Familie beeinträchtige und
gefährde. Die Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas betrachte die Ehe als bedeutende
Institution, sodass nicht aktiv auf eine Trennung der Ehepartner hingewirkt
werde. In der Praxis und insbesondere bei Betroffenheit von Kindern, könne man
von einer durch das Haus gehenden religiösen Scheidung sprechen, die zu einer
strikten religiösen Trennung führe. Die Vertreter der Aussteigerorganisationen berichteten
konkret über die eigene Situation und ihre Erfahrungen. In dem Moment,
in dem ein Geschwisterkind sich den Zeugen Jehovas anschloss und die anderen ein
davon abweichendes anderes, der Moral der Zeugen Jehovas nicht entsprechendes
Leben führten, habe ein Bruch in der Familie stattgefunden. Die zum Teil jahrzehntelang
andauernden Kontaktabbrüche hatten häufig ein Auseinanderbrechen der Familie
zur Folge. Sobald ausgestiegene Kinder mit dem 18. Lebensjahr die Volljährigkeit
erreichen, werden die Eltern angehalten, den Kontakt abzubrechen. Mit Erreichen
der Religionsmündigkeit mit dem 14. Lebensjahr gehe häufig ein Verlassen der
Zeugen Jehovas einher, obgleich die Kinder noch der Sorge und Unterstützung der
Eltern bedürfen, sodass die von den Zeugen Jehovas gewünschte Trennung diesen
Kindern den gebotenen Schutz nehme. Insbesondere, wenn einer der Partner bei
den Zeugen Jehovas sehr aktiv und ein gemeinsames Kind vorhanden sei, könne es
zu Sorgerechtsstreitigkeiten mit Folgeproblemen beim Umgangsrecht kommen. Die
Vertreter der Aussteigerorganisationen schilderten derartige Vorfälle anhand von Einzelbeispielen.
Insbesondere die sehr intensive Arbeit in der Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen mache eine Ehe mit einem nicht den Jehovas Zeugen angehörenden
Partner nahezu unmöglich.
Die Vertreterin von Ausstieg Karlsruhe e. V. schilderte die Entwicklung, wenn einer
der Ehepartner bei den Zeugen Jehovas aktiv werde und die Kinder durch das bei
den Zeugen Jehovas existierende spezielle Kinderbuch in die Glaubensgemeinschaft
einbezogen würden: Diese Kinder dürfen fortan keine Geburtstage mehr feiern, sie
dürfen sich nicht an Weihnachts- und Osterfeiern oder entsprechenden Bastelarbeiten
beteiligen, sodass sich das Leben dieser Kinder vollständig verändere. Sollte der
Partner darauf bestehen, dass die Kinder von diesen Aktivitäten nicht ausgeschlossen
werden, sei wegen der konträren Lebensanschauungen eine gut funktionierende
Ehe nahezu unvorstellbar. Im Fachjargon werde dieser Zustand „geteiltes Haus“ genannt;
man lebe in einem „geteilten Haus“, wenn ein Partner kein Zeuge Jehovas ist.
Nicht selten sind Trennungen und Scheidungen die Folge solcher Konstellationen.
Nach den Angaben des Vertreters von KIDS e. V. lasse sich die Beeinträchtigung und
Gefährdung von Grundrechten Dritter an den seit 1995, dem Gründungsjahr des
KIDS e. V., rund 300 Beratungsfällen mit Beteiligung der Zeugen Jehovas festmachen.
Dabei seien Grundrechtsgefährdungen insbesondere auf der Ebene der Familien
zu verzeichnen. In der Regel werde ein Kontaktabbruch gefordert, sobald sich
ein Familienmitglied von der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas abwende.
Insbesondere die Umgangs- und Besuchsrechte im Falle minderjähriger Kinder, die
nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ein eigenständiges Recht darstellen, werden bei
nicht der Religionsgemeinschaft angehörenden Elternteilen verletzt. Selbst eine im
Gerichtsverfahren erteilte Zustimmung zu Besuchsrechten könne nicht realisiert werden.
In der Regel werde das Besuchsrecht umgangen und teilweise sogar behauptet,
das Kind sei vom anderen Partner missbraucht worden. Die Grundrechtsverletzungen,
insbesondere Verletzung der Menschenwürde, seien durch viele Beispiele zu belegen.
3. Beeinträchtigung und Gefährdung der Religionsfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz)
In der Anhörung wurde deutlich, dass die Punkte „Gefährdung von Ehe und Familie“
und „Religionsfreiheit“ eng mit einander verknüpft sind. Die Religionsgemeinschaft
halte austrittswillige Mitglieder in der Gemeinschaft fest, indem sie in der Re—
11 —
gel die Familien zur Trennung von dem die Glaubensgemeinschaft verlassenden
Familienmitglied auffordern. Insbesondere minderjährige, aber bereits religionsmündige
Kinder werden gegen ihren Willen in der Religionsgemeinschaft festgehalten,
da sie in Ermangelung der Volljährigkeit noch kein eigenständiges Leben führen
können. In diesen Fällen sei eindeutig die Verletzung der Religionsfreiheit nach Artikel
4 Grundgesetz festzustellen. Insbesondere der Vertreter von Netzwerk Sektenausstieg
e. V. verdeutlichte an Beispielen, dass ein in die Religionsgemeinschaft hinein
geborenes Kind der Zeugen Jehovas keine freie Wahl hinsichtlich der Religionszugehörigkeit
habe. Die Argumentation, der Zeuge Jehovas, der sich zur Taufe entschlossen
habe, kenne die Lehren der Zeugen Jehovas, habe ihnen zugestimmt und
sich deswegen taufen lassen, könne für ein bei den Zeugen Jehovas aufgewachsenes
Kind keine Anwendung finden, da es nichts anderes habe kennenlernen können.
Die Zeugen Jehovas sprechen von einer sogenannten vorverlagerten Gewissensentscheidung,
die allerdings bei kleinen und minderjährigen Kindern nicht greifen
könne.
4. Gefahr von Leib und Leben Erwachsener und Minderjähriger (Artikel 2 Absatz
2 Satz 1 Grundgesetz)
Die Experten aus dem medizinischen Bereich äußerten sich zum Thema der Gefahr
von Leib und Leben Erwachsener und Minderjähriger unter Berücksichtigung der
ärztlichen Werteskala. An oberster Stelle stehe bei einem Mediziner – und hier insbesondere
bei einem Kinderarzt – stets der Erhalt des Lebens des Kindes. Lehne ein
Patient oder die Erziehungsberechtigten eines Patienten die Durchführung einer Bluttransfusion
ab, so könne der Patient eventuell auf eine andere Klinik verwiesen werden.
Die Indikation zu einer Bluttransfusion sei stets sorgfältig zu überlegen, da es
sich um eine relevante Maßnahme handele, die nicht lediglich versuchsweise durchgeführt
werden könne. Die Mediziner seien verpflichtet, den Patienten aufzuklären;
das heißt, wenn der Mediziner eine Blutübertragung oder die Übertragung von Blutbestandteilen
als notwendig erachte, dann sei dies entsprechend deutlich zu formulieren.
Ein Patient könne die Durchführung einer Bluttransfusion ablehnen, wenn er
bei vollem Bewusstsein sei, über eine ungetrübte Urteilskraft verfüge und die Ablehnung
aktuell geäußert werde. Drohe ein Patient zu verbluten und lehne dennoch
eine Transfusion ab, so sei der Mediziner gezwungen, diese Entscheidung zu akzeptieren.
Dessen ungeachtet gebe es auch beim einwilligungsfähigen Patienten die
ärztliche Verpflichtung der Nothilfe, die einen Arzt in eine schwere Gewissensnot
bringen könne, da er angesichts der ärztlichen Ethik in einen schwierigen Konflikt
geraten könne und möglicherweise dann auch schwierige Entscheidungen über den
Einsatz lebensrettender Maßnahmen treffen müsse. Das Selbstbestimmungsrecht des
Patienten habe seine Grenzen dort, wo Pflichten und Rechte anderer, in diesem Fall
die Pflichten und Rechte des Arztes, verletzt zu werden drohen.
Die Situation sei beim nicht einwilligungsfähigen Patienten anders zu beurteilen, da
dieser seinen Willen nicht mehr mitteilen könne. Werde in solchen Fällen eine frühere
Verfügung vorgelegt, sei sowohl nach der ärztlichen Dienst- und Pflichtauffassung
als auch in der Rechtsprechung unklar, wie der Mediziner dann vorzugehen
habe. Fraglich sei, ob eine frühere Verfügung in dem Moment, wo es um das eigentliche
Überleben geht, durch den Patienten aufrecht erhalten bleibe. Bei Bestellung
eines Betreuers sei die Situation relativ klar, sofern sich Betreuer und Arzt verständigen,
dass die Transfusion erfolgen kann. Bei auseinandergehenden Ansichten von
Betreuer und Arzt ist letztlich eine Entscheidung des Betreuungsgerichtes herbeizuführen.
Falls nach einem schweren Verkehrsunfall ein Verbluten drohe, müsse der
Arzt nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten entscheiden. Werde sodann eine
vom Patienten unterzeichnete Erklärung vorgelegt, wonach eine Bluttransfusion ausgeschlossen
werde, könne sich der Arzt darüber hinwegsetzen, sofern er vermutet,
dass der Patient wie jeder andere Mensch auch am Leben bleiben wolle.
Abweichend sei die Situation bei Minderjährigen aufgrund der sich aus der elterlichen
Sorge ergebenden Pflichten zu beurteilen, die neben der staatlichen Verantwortung
durch das Jugendamt für das Wohl des Kindes stehe. Berücksichtigen die
Eltern nach kinderärztlichem Ermessen das Wohl des Kindes nicht hinreichend, so
werden die zu ergreifenden Maßnahmen aus ärztlicher Sicht erläutert, und im Zweifel
werde das Jugendamt benachrichtigt. In einem akuten Fall wende sich der Arzt
unverzüglich an das Familiengericht, das einen Betreuer einsetzen oder die sofortige
Zustimmung zu einer notwendigen medizinischen Maßnahme zum Schutz von Leib
und Leben des Kindes erteilen könne. So werde auch bei Eltern verfahren, die nicht
Zeugen Jehovas sind, jedoch eine Bluttransfusion ablehnen.
— 12 —
Anhand eines Einzelfalles schilderte Prof. Dr. Huppertz unter Wahrung der ärztlichen
Schweigepflicht die Situation von Eltern, bei deren Frühgeborenem ein deutlicher
Abfall des Blutes mit Atemnot und sehr schnellem Herzschlag eintrat. Die Zeichen
für eine ausgeprägte Blutarmut erforderten die Durchführung einer Bluttransfusion.
Die Eltern erklärten, dass sie als Zeugen Jehovas dieser Transfusion nicht zustimmen
dürften. Nach Hinzutreten weiterer Mitglieder der Religionsgemeinschaft,
die sich als Helfer der Eltern vorstellten, und nach einer gemeinsamen Beratung
wurde die Durchführung der Bluttransfusion abgelehnt. Als die Betreuer der Religionsgemeinschaft
die Klinik verlassen hatten, wandten sich die Eltern noch einmal an
die Mediziner und berichteten von ihrem Konflikt, einerseits wollten sie alles Gute
für ihr Kind und sahen die Notwendigkeit der Bluttransfusion ein, andererseits hatten
sie große Angst davor, dass ihr Kind dann nicht mehr zu den Gerechten gehöre.
Die Eltern hätten unter einem erheblichen Druck der Religionsgemeinschaft gestanden
und Angst vor einem Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft oder vor einem
Kontaktverbot zu ihrem Kind gehabt. Das von der Klinik sodann eingeschaltete Familiengericht
habe die Erlaubnis zur Durchführung der Bluttransfusion erteilt. Die
Eltern seien erleichtert gewesen, dass ihnen die Entscheidung abgenommen wurde.
Gegenüber den später wiederum hinzukommenden Betreuern der Religionsgemeinschaft
erklärten die Eltern, unter Zwang gehandelt zu haben, und zeigten Reue angesichts
der durchgeführten Transfusion. Im Ergebnis sei die Situation für Eltern sehr
schwierig: Einerseits seien sie belastet durch die Sorge um ihr Kind und erkennen
die Notwendigkeit einer Transfusion an; andererseits stehe die Verpflichtung ihres
Glaubens, verbunden mit den Ängsten, das Kind könne seelenlos werden.
Besonders schwierig sei die Situation bei Jugendlichen mit 16 oder 17 Jahren, gegen
deren Willen keine medizinische Entscheidung getroffen werde. Obgleich wegen
der fehlenden Volljährigkeit noch keine Einwilligungsfähigkeit gegeben sei,
werde der Wille des Jugendlichen hoch geschätzt, und es werde lange gezögert, etwas
gegen seinen Willen zu unternehmen. Trotzdem sei klar, das ein 16- oder 17-
Jähriger die Konsequenzen seines Handeln nicht vollständig überblicken könne. In
diese Situation sei allerdings die Klinik noch nicht geraten.
Prof. Dr. Huppertz fasste zusammen, dass die Transfusion von Blut oder Blutbestandteilen
häufiger bei Frühgeborenen angezeigt sei, bei denen eine hämatologische Erkrankung
– eine Störung der Blutbildung oder ein vorzeitiger Abbau des Blutes –
vorliege. Teilweise seien diese Patienten auch lebenslang auf eine entsprechende
Bluttransfusion angewiesen. Des Weiteren erforderten onkologische Erkrankungen,
bei denen der Patient unter einer schweren Chemotherapie selbst gar kein Blut mehr
bilden könne, dass durch Bluttransfusionen unterstützt werde. Eine weitere Hauptgruppe
seien Unfallopfer, die zu verbluten drohen oder Patienten mit großen Operationen,
die dann nur durchgeführt werden können, wenn eine entsprechende Blutmenge
vorgehalten und im Notfall gegeben werden könne. Bei diesen medizinischen
Indikationen sei es stets schwierig, zu einer für die Patienten angemessenen
ärztlichen Versorgung zu kommen, wenn sie der Religionsgemeinschaft Jehovas
Zeugen angehören.
Der Vertreter des Rotes-Kreuz-Krankenhauses, Dr. Hofmann, ergänzte aus der Sicht
der Erwachsenenmedizin: Im Rotes-Kreuz-Krankenhaus seien die meisten Eingriffe
ohne transfusionsrelevanten Blutverlust zu erwarten, sodass die Klinik selten mit dem
Konflikt konfrontiert sei. Es existiere keine schriftliche Verfahrensanweisung, wie
Ärzte im Konfliktfalle damit umgehen sollen. Nach einer internen Absprache seien
sowohl der Wille des Patienten als auch mögliche Gewissenskonflikte beim medizinischen
Personal zu berücksichtigen. Laut Transfusionsgesetz bedarf die Übertragung
von Blutprodukten der ausdrücklichen Einwilligung des Patienten. Der Patient
könne eine Behandlung insgesamt ablehnen oder auch die Behandlung mit Blutprodukten
selektiv verweigern. Voraussetzung für eine Ablehnung der Bluttransfusion
sei, dass der Patient geschäftsfähig sei, sich frei entscheiden und aktuell äußern
könne. Das Aufklärungsgespräch finde in einer vertraulichen Atmosphäre statt und
werde nicht durch Obleute oder Aufpasser gestört. Für die Mediziner erzeuge die
Ablehnung der Behandlung mit Blutprodukten in der Regel erhebliche Gewissenskonflikte,
da die Akutmedizin das Ziel verfolge, möglichst jeden Schaden vom Patienten
abzuwenden und im Sinne einer Heilung zu wirken. Einen durch eine Bluttransfusion
zu rettenden Patienten möglicherweise sterben zu lassen, stelle für die
Mediziner eine enorme Belastung dar. In jedem Falle trete für den Mediziner ein
Konflikt auf, der zum einen den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung oder zum
anderen die Missachtung des Patientenwillens beinhalte.
— 13 —
Die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen habe bereits versucht, mit einem befreundeten
Krankenhaus zu einer Regelung im Falle des Umganges mit Bluttransfusionen
zu kommen. Dessen ungeachtet erwarte die Geschäftsleitung des Rotes-Kreuz-
Krankenhauses von keinem der Ärzte, dass er gegen sein Gewissen medizinische
Maßnahmen einleite oder unterlasse. Dabei komme es auch darauf an, die unterschiedlichen
Auffassungen der Ärztekollegen zu berücksichtigen und bei der Arbeitsteilung
entsprechend zu würdigen. Die Arbeit der Mediziner bewege sich bezüglich
dieses Themas in einer Grauzone. Es gebe keine belastbaren Zahlen und
keine Anweisungen, wie im Zweifelsfalle zu verfahren sei.
Der Vertreter des Rostes-Kreuz-Krankenhauses berichtete von Einrichtungen, die
den Patientenwillen bei Entscheidungswilligkeit und -fähigkeit berücksichtigen würden,
aber im Moment des Verlustes des Bewusstseins und wenn es um Leben oder
Tod gehe, unterstellen, der Patient entscheide sich für das Leben. Im Klinikalltag
werden die der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas angehörenden Patienten als
recht unselbstständig und schicksalsergeben erlebt und seien im Gegensatz zu anderen
Patienten auf der Gesprächsebene schwerer zu erreichen. Häufig könne man
auch erleben, dass die Entscheidung über die Einwilligung zu einer Bluttransfusion
auch auf andere Personen, in diesem Falle auf nicht unmittelbar zur Familie gehörende
Begleitpersonen übertragen werde. Diesen Patienten werde grundsätzlich nach
dem Aufklärungsgespräch angeboten, dass sie zu jeder Tages-und Nachtzeit nach
einem erneuten Gespräch unter vier Augen verlangen können. Dabei habe es auch
Fälle gegeben, in denen dem Arzt die Entscheidung für das richtige medizinische
Handeln überlassen worden sei, ohne dass andere Personen davon Kenntnis erhalten
hätten.
Zur Rolle der Verbindungskomitees führte Prof. Dr. Huppertz aus, dass er deren Teilnahme
nicht als unterstützend, sondern im Gegenteil als die Entscheidung erschwerend
wahrgenommen habe. Solange es sich um einen erwachsenen Patienten handele,
der bei vollem Bewusstsein und mit klarer Urteilskraft über die Ablehnung einer
Transfusion entscheide, könne sich der Arzt an die Entscheidung halten und sei
auch rechtlich abgesichert. Schwieriger werde es bei nicht einsichtsfähigen, nicht
urteilsfähigen Kindern, für die die sorgeberechtigten Eltern zu entscheiden hätten.
Stelle man fest, dass diese fremdgesteuert seien, dann treffe faktisch das Krankenhaus
eine Entscheidung nach dem zuvor beschriebenen Verfahren.
Die Existenz des Krankenhausverbindungskomitees sei in der Klinik bekannt, jedoch
könne ein bewusstlos eingelieferter Patient nicht gefragt werden, ob er Zeuge
Jehovas ist. Entweder müsse der Patient selbst oder seine Angehörigen diese Auskunft
erteilen und die Einschaltung des Verbindungskomitees fordern. In der Regel
werden bei der Einlieferung eines Patienten nahe Angehörige unterrichtet, sodass
nur über diesen Weg das Verbindungskomitee informiert werden könne. Die Klinik
selbst informiere das Verbindungskomitee nicht, da kein verwandtschaftlicher Bezug
zum Patienten bestehe.
Der Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine sei nur bei Herstellung eines ununterbrochenen
Kreislaufes möglich; sie dürfe jedoch bei Patienten der Religionsgemeinschaft
nicht mit Fremdblut gefüllt werden. Das riesige Raumvolumen der Herz-Lungen-
Maschine müsse vor ihrem Einsatz in der Regel mit Blut vorgefüllt werden. Bei einem
Erwachsenen könne durch Blutverdünnung ein entsprechendes Volumen erreicht
werden, sodass die Herz-Lungen-Maschine gefüllt werden könne, während
dies bei Kindern ausgeschlossen sei. Auch beim Einsatz der Dialyse lassen Patienten
der Religionsgemeinschaft nur das Befüllen des Gerätes mit Dialyseflüssigkeit zu,
während zum Beispiel bei der Peritonealdialyse und bei der Hämodialyse die Maschine
zuvor gefüllt werden müsse, sodass dieses Verfahren bei den Zeugen Jehovas
angehörenden Patienten nicht einsetzbar sei.
Dr. Hofmann schilderte das Umgehen des Rotes-Kreuz-Krankenhauses mit Mitgliedern
der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen am Beispiel einer länger geplanten
größeren Tumoroperation. Der Patient wende sich an die Klinik und fordere von den
Chirurgen das Versprechen, so blutarm wie möglich zu operieren. Dem Patienten
werde das Risiko einer derartigen Operation erklärt, da er im Verlauf des Eingriffs an
einer Verblutung sterben könnte. Meistens verlaufe eine solche Operation trotzdem
erfolgreich. In diesen Fällen werde das Blut so weit verdünnt, dass der Patient bleich
wie eine Wand werde, sich aber in der Regel im Laufe von Wochen und Monaten irgendwie
erholen könne. Es gebe jedoch keine Erfolgsgarantie für derartige Operationen.
Zur Frage, ob sich der Heilungsprozess aufgrund einer starken Blutverdünnung
— 14 —
verzögern könne, führte Dr. Hofmann aus, dass bei einer sehr starken Verdünnung
des Blutes einhergehend mit dem Verlust der Hälfte oder von Zweidrittel seines ursprünglichen
Blutvolumens der Kreislauf nur durch Blutersatzstoffe, Kochsalzlösungen
oder Plasmaexpander stabilisiert werden könne. Dabei bestehe das Risiko, dass
die Sauerstoffträger entsprechend reduziert seien und die Sauerstoffversorgung so
weit absinke, dass bestimmte Organe definitiv einen Schaden erleiden könnten – sei
es durch einen Herzinfarkt oder durch andere Organinfarkte. Bei Gelingen der Aktion
gehe der Patient mit einem sehr niedrigen Gehalt an roten Blutkörperchen in die
Genesung, sodass sich ein sehr langwieriger Heilungsprozess anschließe, d. h., die
Mobilisierung werde schwierig, weil die Sauerstoffkapazität nicht ausreiche. Allerdings
sei einzuräumen, dass es im Verlauf der letzten zehn oder 15 Jahre hinsichtlich
der Toleranz von Blutarmut medizinische Veränderungen gegeben habe. Dabei
habe die Debatte um HIV und die Tatsache immer knapper werdender Vorräte an
Blut zu einer Absenkung der Werte, ab denen unbedingt eine Transfusion benötigt
werde, geführt. Ein derartiges medizinisches Vorgehen erfordere besondere Maßnahmen
mit erheblichen Kostenfolgen und der Bindung zusätzlicher Ressourcen, die
anderen Patienten dann nicht zur Verfügung stehen würden. Der häufigste medizinisch
relevante Vorgang sei die Geburt eines Kindes. Ein Vergleich der Sterblichkeit
von Müttern bei der Geburt zwischen der Allgemeinbevölkerung und der bei den
Zeugen Jehovas habe ergeben, dass die Sterblichkeit bei den den Zeugen Jehovas
angehörenden Müttern erheblich höher liege als bei anderen Müttern.
5. Kindeswohl
Nach den Erkenntnissen der Senatorin für Bildung und Wissenschaft seien angesichts
der großen religiösen Heterogenität in Bremen im Schulalltag zwar Probleme zu verzeichnen,
jedoch könnten keine Angaben über die aus dem Bereich der Zeugen
Jehovas stammenden Schüler gemacht werden, da die Religionszugehörigkeit generell
nicht erfasst werde. Aus diesem Grund könne die Frage nach der Bildungsfeindlichkeit
dieser Religionsgemeinschaft nicht beantwortet werden. Die Kinder der
Zeugen Jehovas seien im Vergleich zu den vielen Religionsgemeinschaften in Bremen
in der Schule nicht besonders auffällig und würden sich in der Regel passiv
verhalten. Zur Frage innerer Gewissenskonflikte bei den Schülerinnen und Schülern
könne die Bildungsbehörde keine Auskünfte erteilen. Bei Festen und Kindergeburtstagen
intervenieren die Eltern der Jehovas Zeugen, wenn zum Beispiel an einer
Grundschule der Kindergeburtstag sehr feierlich mit Kerze und Gesang begangen
werde. In derartigen Fällen komme es vor, dass Zeugen Jehovas sich meldeten und
darum bitten, ihrem Kind die Teilnahme an diesen aus ihrer Sicht „Massenveranstaltungen“
zu ersparen. Dies erfolge in der Regel in der Schule vor Ort, sodass das
Ressort im Einzelfall keine Kenntnis erhalte. Schulleiter berichten hinsichtlich der
Klassenfahrten, dass Schülerinnen und Schüler der Zeugen Jehovas häufig zum Zeitpunkt
der Klassenfahrt krank würden. Darüber führe das Ressort jedoch keine Statistiken.
Aufgrund der Bremer Klausel werde kein konfessionell gebundener Religionsunterricht
angeboten, vielmehr finde der Unterricht im Fach Biblische Geschichte auf
allgemein christlicher Grundlage mit der Möglichkeit der Abwahl statt. Die Schülerinnen
und Schüler der Zeugen Jehovas nehmen am Biblischen Geschichtsunterricht
nicht teil und wählen dann nicht selten den Ersatzunterricht Philosophie/Ethik, über
die Zahl dieser Anwahlen werde keine Statistik geführt. Aufgrund des Fachlehrermangels
werde weder das Fach Biblische Geschichte noch das Ersatzfach durchgängig
an allen Schulen erteilt.
Eine Nachfrage beim Schulpsychologischen Dienst habe ergeben, dass ein Kausalzusammenhang
zwischen Zeugen Jehovas und in der Schule auftretenden Problemen
nicht bekannt sei. Auch hier werde die Religionszugehörigkeit nicht erfasst,
sodass konkrete Aussagen nicht möglich seien.
Die von der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales entsandte
Mitarbeiterin des Jugendamtes ist für die Koordination des Kinderschutzes zuständig.
Es gebe wenige – zurzeit drei – Einzelfälle, in denen Kinder von Zeugen
Jehovas betroffen seien. Es handele sich in zwei Fällen um pubertierende Jugendliche,
die sich selbst gemeldet hätten. Ob die Meldung ursächlich mit der Religionszugehörigkeit
der Eltern zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas im Zusammenhang
gestanden habe, sei ungewiss. Möglicherweise könne ein Grund ein zwischen
den Eltern und den Jugendlichen auftretender Konflikt sein, wenn in der Schule
oder durch Mitschüler eine Konfrontation mit abweichenden Ansichten und Mei—
15 —
nungen stattfinde. In beiden Fällen hätten die Eltern sehr schnell in eine Fremdplatzierung
eingewilligt und somit eine Einschaltung des Familiengerichtes vermieden.
In einem weiteren Fall habe keine Fremdplatzierung stattgefunden. Die Kinder
im Alter von zehn und 13 Jahren lebten noch bei der zu den Zeugen Jehovas gehörenden
Mutter, der Vater gehöre nicht der Glaubensgemeinschaft an. Die Mutter
habe in eine Unterstützung durch die sozialpädagogische Familienhilfe eingewilligt.
Bei der Mutter scheinen große psychische Probleme zu bestehen, sodass in erster
Linie der Vater der Kinder als Ansprechpartner für das Amt auftrete.
Eine Recherche beim Kinder- und Jugendnotdienst habe keine Vorfälle unter Beteiligung
von Zeugen Jehovas ergeben. Der Zugang zu den Familien der Zeugen Jehovas
sei in der Regel sehr schwer zu bewerkstelligen. Werden Kinder aber zum Beispiel
zu Haustürbesuchen mitgenommen, schreite die Jugendbehörde in der Regel ein,
weil in diesen Fällen gegen das Kindeswohl direkt verstoßen werde.
Zur Adoption erklärte die Vertreterin der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit,
Jugend und Soziales, dass sie darüber keine Auskünfte geben könne.
Nach Erkenntnissen des Vertreters von KIDS e. V. sei nicht nachzuweisen, dass in
allen Familien der Zeugen Jehovas körperliche Züchtigung gepredigt oder auch vorgenommen
werde. Es seien jedoch Fälle bekannt, dass Kinder über Jahre hinweg
von der leiblichen Mutter und auch von der Großmutter, die der Religionsgemeinschaft
angehören, misshandelt worden seien. Aus eigenen betreuten Fällen hat der
Vertreter von KIDS e. V. Kenntnis von körperlichen Züchtigungen erlangt.
Die im Grundgesetz verankerte Achtung der Menschenwürde und das Recht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit für jedermann werden durch die Zeugen Jehovas
nicht beachtet. Vielmehr finde eine Indoktrination und Abschottung der Kinder statt,
denen die Teilnahme an Klassenfahrten, Weihnachts- und Geburtstagsfeiern nicht
gestattet werde. Eine Erziehung zu einem religionsmündigen Bürger erfolge nicht.
Vielmehr werden die Kinder in eine Außenseiterrolle gedrängt, indem man ihnen
von Anfang an erklärt, was gut und böse ist und dass die nicht an Jehova Glaubenden
vom Satan beherrscht seien. Eine freie Entscheidung, welcher Religionsgemeinschaft
sie angehören wollen, können die Kinder nicht treffen, sodass das Grundrecht
auf Religionsfreiheit verletzt werde. Die Kinder aus Familien der Zeugen Jehovas
werden aufgrund des keine Kritik zulassenden hierarchischen Aufbaus der Religionsgemeinschaft,
der Andersdenkende ausstoße und aus der Gemeinschaft aussortiere,
nicht zur Kritikfähigkeit erzogen. Der Bundesgerichtshof habe in solchen Fällen
mehrfach entschieden, dass dem Staat diesbezüglich ein Wächteramt zukomme
und ein Eingreifen in Sorge- und Umgangsrechtsfällen geboten sei.
Der Vertreter von KIDS e. V. betonte ausdrücklich, dass es nicht um ein Verbot der
Zeugen Jehovas gehe, sondern um die Frage der Privilegierung durch die Zuerkennung
des Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Um diesen Status zu erreichen,
sei die Religionsgemeinschaft gehalten, die Grundregeln des Staates zu beachten
und die Grundrechte zu wahren. Dies könne, bezogen auf die Menschenwürde
und die freie Entfaltung der Persönlichkeit, als nicht gewährleistet betrachtet werden.
Die Weltanschauungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche, Pastorin
Witte, erläuterte, dass die Frage der körperlichen Züchtigung insbesondere in den
Beratungen von inzwischen erwachsenen Kindern immer wieder thematisiert werde.
Zum Kindesmissbrauch habe sie in Beratungsgesprächen keine Informationen
erhalten.
Zur Frage der Züchtigung und des Kindesmissbrauches äußerten sich die Vertreter
der Aussteigerorganisationen eingehend. So zitierte Siegfried Koloschin aus dem
Einsichtenbuch der Wachtturm-Gesellschaft, der Elberfelder Bibel: „Blutige Striemen
läutern den Bösen und Schläge die Kammern des Leibes“. Zu diesen Aussagen
der Elberfelder Bibel erläutere das Lexikon: „In der Heiligen Schrift wird wiederholt
betont, wie nützlich Schläge als Strafmittel seien können.“ Das bedeute, die Züchtigung
habe so zu erfolgen, dass sich der Gezüchtigte bessere. Der konkrete Text der
Erläuterung laute: „Quetschwunden sind es, die das Schlechte wegscheuern und
Schläge die innersten Teile des Leibes. Der Gezüchtigte sollte erkennen, dass er
töricht gehandelt hatte und dass er sich ändern sollte. Wer wirklich weise ist, lässt
sich mit Worten zurechtweisen, sodass es nicht nötig sein wird, ihn zu schlagen.“
Hieraus sei zweifelsfrei zu erkennen, dass die Züchtigung des Kindes durch Gewalt
und Schläge dem Glaubensgrundsatz der Jehovas Zeugen entspreche. Insbesondere
— 16 —
während der Versammlungen der Zeugen Jehovas würden störende Kinder aus dem
Raum entfernt und geschlagen. Bei ihrer Rückkehr seien sie in der Regel völlig verängstigt
und verschüchtert und hätten verweinte Augen.
Der Vertreter der Netzwerkes Sektenausstieg e. V. bestätigte die Aussagen unter
Verweis auf seine eigenen Erfahrungen in einer Familie von Zeugen Jehovas, die die
Glaubenslehren sehr ernst genommen habe. Er selbst habe Züchtigungen durch den
Vater im Namen Jehovas erfahren, die dazu dienen sollten, die Kinder zu von der
Religionsgemeinschaft definierten vollwertigen Dienern Gottes zu erziehen.
Die Vertreterin der Zeugen Jehovas Ausstieg gGmbH in Gründung aus Hamburg
bestätigte hinsichtlich der körperlichen Züchtigungen die Aussagen der Vertreter
der anderen Aussteigerorganisationen.
Stellungnahme eines Vertreters der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Deutschland
Für die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen in Deutschland äußerte sich der Justiziar
der Religionsgemeinschaft, Gajus Glockentin, und kritisierte, dass von der Religionsgemeinschaft
ein Zerrbild gezeichnet worden sei. Er spreche für 2 000 Bremer
Zeugen Jehovas, und verwies auf das dem Ausschuss zur Verfügung gestellte Informationsmaterial,
aus dem deutlich werde, dass die Personen, die sich darin geäußert
haben, Bürger seien, die wohl integriert in dieser Gesellschaft lebten, sich wohlfühlten,
in der vierten, fünften und sechsten Generation in Bremen zu Hause seien und
die die Anhörung des Rechtsausschusses mit Empörung zur Kenntnis nehmen würden.
Die Anhörung sei eine Inszenierung. Durch die Auswahl der Referenten sei
nichts anderes zu erwarten gewesen.
Jehovas Zeugen seien seit 2006 eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, was auch
für das Land Bremen Wirkung entfalte. In Bremen lebende Zeugen Jehovas seien
Mitglieder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Geistlichen seien Geistliche
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und die früher als eingetragene Vereine
organisierten Versammlungen seien in den Vereinsregistern gelöscht worden
und partizipierten jetzt an dem öffentlich-rechtlichen Status von Jehovas Zeugen in
Deutschland. Die Religionsgemeinschaft habe an ihrem Sitz im Bundesland Berlin
den Antrag auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts gestellt, sodass
die dort erfolgte Anerkennung zweifelsfrei für Deutschland insgesamt gelte.
Nach dem föderalen System sei die Religion Angelegenheit der Bundesländer, zwischen
denen in den Jahren 1954 und 1962 Vereinbarungen getroffen worden seien,
wonach bei einem solchen Antrag ein Konsultationsprozess, ein Präzedenzverfahren,
durchgeführt werde, wodurch die anderen Länder im Ergebnis faktisch gebunden
würden. Im Rahmen der 1992 durchgeführten Konsultationen sei das Land Berlin
angehalten worden, die Körperschaftsrechte nicht zu verleihen, obwohl es eigentlich
verleihungswillig gewesen wäre. Im Jahr 2008 habe zwischen den Ministerpräsidenten
und den Staatssekretären eine Abstimmung stattgefunden mit dem Ergebnis,
die Körperschaftsrechte im Nachgang zu der Erstverleihung auch in den Ländern
zu verleihen.
Für ihn stelle sich die Frage, warum sich ein Parlament damit beschäftigen müsse. Es
handele sich um ein Verfassungsrecht nach Artikel 140 Grundgesetz, das zurückgehe
auf Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Verfassung, wonach eine Religionsgemeinschaft,
die die Gewähr der Dauer biete, das Recht habe – und so sei das für ein
plurales Land vorgesehen –, die Körperschaftsrechte zu erlangen, um auf dieser rechtlichen
Ebene mit anderen Religionsgemeinschaften gleichgestellt zu werden. In Bremen
verfolge man die Gleichstellung mit den Neuapostolen, der Christengemeinschaft
und anderen auch kleineren Religionsgemeinschaften. Er bestreite nicht, dass
der Weg über die Gesetzgebung durch das Parlament in der Landesverfassung geregelt
werden könne, aber er verweise auf den Gesetzesantrag der FDP.
Zur Frage der Rechtstreue sei zu prüfen, inwieweit die in der Verfassung verankerten
Grundrechte in einfaches Gesetz umgesetzt worden seien und ob insoweit Gesetzesverstöße
vorliegen würden. Nach seiner Ansicht sei es keine Frage der Grundrechte,
sondern beispielsweise des Familienrechtes im Bürgerlichen Gesetzbuch, gegen
das verstoßen werden müsste, um Gesetzesverstöße feststellen zu können. Die
Berichte über tatsächlich Erlebtes, über Dinge, die Leid in Familien verursacht haben,
machten ihn jedes Mal aufs Neue betroffen. Es seien Handlungen, die nicht
gutgeheißen werden können, die man von sich weisen müsse. Es seien aber auch die
— 17 —
anderen Familienangehörigen zu hören, die kritisiert würden, denen schändliches
Verhalten vorgeworfen werde. Es stelle sich die Frage, welche Zusammenhänge
zwischen der Religionszugehörigkeit und den der Religionsgemeinschaft vorgeworfenen
Sachverhalten bestehen. Er könne keine Rechtsverstöße anhand von Entscheidungen
und praktischen Fällen erkennen. Vielmehr handele es sich um pauschale
Vorwürfe und die Schilderung vieler Begebenheiten. Herr Glockentin kritisierte, dass
durch die Anhörung 2 000 Bürger mit Schmutz beworfen würden.
Aus der Enquetekommission des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1996 seien
nach zweijährigen Untersuchungen und in den Bundesländern durchgeführten Umfragen
keine konkreten Fälle festgestellt worden. Aus diesem Grund seien Jehovas
Zeugen die Körperschaftsrechte zu Recht zuerkannt worden. Angesichts der Zahl
der die Religionsgemeinschaft jedes Jahr Verlassenden, die sich zwischen 1 000 und
2 000 Personen bewege, handele es sich in dem Zeitraum der Verfahrensdauer von
20 Jahren um 40 000 Personen, die nicht mehr Zeugen Jehovas sind. Es sei zu fragen,
wo die Berichte über eingetretene Schäden seien. Er sei in der vierten Generation
ein Zeuge Jehovas und habe die in der Anhörung geschilderten Vorfälle nicht ansatzweise
erlebt.
Das Zitieren aus Schriften der Zeugen Jehovas sei nicht geeignet, ein objektives Bild
der Religionsgemeinschaft zu zeichnen. Die Weltanschauungsbeauftragten der Kirchen
oder Personen, die sich mit einem missionarischen Eifer gegen die Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen verschrieben hätten, würden nicht davor zurückschrecken,
gefälschte Briefe ins Internet zu stellen und haltlose Anschuldigungen zu verbreiten.
Eine Religionsgemeinschaft bestehe aus Einzelpersonen, die sich unterschiedlich
verhalten und aufgrund der Empfehlungen der Bibelauslegung den christlichen
Glauben auf die eine oder andere Weise praktizieren würden. Die Aussagen über
die Innen- und Außendarstellung bei Jehovas Zeugen sei eine Verbrämung dessen,
was als Ideal vorgegeben werde. Selbstverständlich werde empfohlen, sich möglichst
eng an die Auslegung der Bibel zu halten, wobei zu beachten sei, dass jeder seinen
Spielraum nutze und dies auf die eine oder andere Weise praktiziere oder auch nicht.
In der Anhörung sei aus Publikationen zitiert worden, die dem Wandel der Zeit unterlägen
und nicht mehr aktuell seien. Folglich seien sie auch nicht geeignet, ein reales
Bild der Religionsgemeinschaft zu zeichnen. Er verweise auf Zeiten, in denen
Kinder von Lehrern geschlagen worden seien, was heute nicht mehr geschehe.
IV. Nicht öffentliche Anhörung einer Aussteigerin in vertraulicher Sitzung am
16. Februar 2011
Der Rechtsausschuss setzte seine Sitzung am 16. Februar 2011 mit der Anhörung
einer Aussteigerin in einem nicht öffentlichen und vertraulichen Teil fort.
Die Aussteigerin berichtete über ihre Erfahrungen nach dem Einstieg der Mutter bei
den Zeugen Jehovas und ihrem Ausstieg, der Jahre später gemeinsam mit dem Ehemann
erfolgte. Freundschaften und soziale Kontakte außerhalb des Arbeitsplatzes
seien in der Folge abgebrochen worden. Besonders eindrucksvoll schilderte die Aussteigerin
die Auswirkungen ihres Ausstiegs, der zu einem nahezu vollständigen
Kontaktabbruch zur Mutter führte, sodass das ursprünglich sehr gute Verhältnis zur
Mutter faktisch beendet wurde. Des Weiteren belegte die Aussteigerin die in der Anhörung
zutage getretenen Probleme mit Bluttransfusionen bei notwendigen medizinischen
Maßnahmen anhand ihrer eigenen Erfahrung bei der Geburt ihres ersten
Kindes. Das seinerzeit zu Rate gezogene Krankenhausverbindungskomitee habe einen
Krankenhausaufenthalt im Klinikum Bremen-Mitte empfohlen, obgleich der damalige
Wohnort ein Aufsuchen eines nahegelegenen Krankenhauses in Oldenburg
angezeigt hätte. Die Krankenhausverbindungskomitees werden zusammengesetzt
von den Ältesten der verschiedenen Gemeinden – so auch in Bremen und in Oldenburg.
Zur Züchtigung von Kindern führte die Aussteigerin aus, dass ihr Ehepartner ab dem
Zeitpunkt des Beitritts der Mutter zu den Zeugen Jehovas von dieser geschlagen
worden sei, was vorher nicht der Fall gewesen sei. Aus eigener Anschauung in den
Versammlungen erinnerte sie sich, dass von den Eltern der Kleinkinder erwartet
werde, dass sich die Kinder ruhig verhalten und notfalls Schläge eingesetzt werden.
Sie selbst habe ihr Kind nicht geschlagen, sondern stattdessen den Versammlungsraum
mit dem Kind verlassen, um es draußen spielen zu lassen, was von anderen
Zeugen Jehovas mit bösen Blicken quittiert worden sei. Sie habe auch Hinweise von
anderen Zeugen Jehovas erhalten, das Kind müsse durch Schläge zum Stillsitzen ge—
18 —
zwungen werden. Andere Mütter seien mit ihren Kindern regelmäßig herausgegangen
und mit tränenüberströmten Kindern auf dem Arm wieder zurückgekehrt. Die
Kinder hätten sich sodann völlig verängstigt hingesetzt.
Zur Situation in der Familie führte die Aussteigerin aus, dass die Kontakte zu den
getrennt lebenden Vätern sowohl in ihrem als auch im Falle ihres Ehemannes weitestgehend
unterbunden werden sollten. Da dessen Vater im Ausland gelebt habe,
sei der Kontakt ohnehin nicht sehr intensiv gewesen; dennoch sei versucht worden,
Druck auf ihren Ehemann dahingehend auszuüben, den Kontakt zum Vater vollständig
abzubrechen.
Zur zeitlichen Inanspruchnahme durch die Religionsgemeinschaft erläuterte die Aussteigerin,
dass jeweils am Dienstagabend eine Stunde Bibelstudium im kleineren
Kreis privat bei einem Glaubensbruder oder einer Glaubensschwester mit ungefähr
zehn Personen stattgefunden habe. Am Donnerstagabend habe es für circa zwei Stunden
und am Sonntag auch noch einmal für circa zwei bis drei Stunden eine Zusammenkunft
gegeben. Aktuell sei eine Veränderung insoweit eingetreten, als die Stunde
am Dienstag mit anderen Zusammenkünften zusammengelegt worden sei. Am
Samstagvormittag gebe es immer einen Treffpunkt für den Predigtdienst, bevor alle
in ihre Predigtdienstgebiete starten. Dazwischen finde das übliche Programm mit
dem täglichen Lesen der Bibel und Tagestexte in den Wachtturm- und Erwachet-
Zeitschriften und den Vorbereitungen auf Zusammenkünfte statt. Die Zeiten und der
Umfang seien weltweit einheitlich für alle Zeugen Jehovas vorgeschrieben.
Beim Begehen von Straftaten, zum Beispiel Körperverletzung oder Diebstahl, sei es
nicht verboten, einen Glaubensbruder anzuzeigen, man werde dafür auch nicht ausgeschlossen.
Als Vorstufe des Ausschlusses werde man „bezeichnet gehalten“, das
bedeutet, dass man weiter zu den Zusammenkünften kommen darf, aber sich nicht
mehr aktiv beteiligen darf. Das Erstatten einer Strafanzeige gegen einen Glaubensbruder
sei insofern verpönt, als zunächst eine interne Regelung zu suchen sei; dies
gelte auch für Fälle von Kindesmissbrauch. Aus eigener Anschauung konnte die
Aussteigerin nicht berichten, dass Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden durften;
sie verwies auf Informationen vom Hörensagen.
V. Ergänzende Auskünfte der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und
Soziales sowie der Senatorin für Bildung und Wissenschaft am 16. März 2011
Aufgrund in der öffentlichen Anhörung vom 16. Februar 2011 offen gebliebener Fragen
an die Ressorts Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales sowie Bildung
und Wissenschaft beschloss der Ausschuss, in seiner Sitzung am 16. März 2011 nochmals
Vertreter dieser Ressorts zu hören, die zum Umgang mit Kindern aus Familien
der Zeugen Jehovas und zu Erkenntnissen aus Adoptionsverfahren sowie zur Praxis
im Schulalltag Auskunft erteilen sollten. Über diesen Teil der öffentlichen Sitzung
wurde ein Wortprotokoll erstellt.
Die Vertreterinnen der Adoptionsstelle bei der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit,
Jugend und Soziales konnten keine weitergehenden Auskünfte zu Adoptionsentscheidungen
im Zusammenhang mit Familien der Zeugen Jehovas erteilen.
Für den Bereich der Schule stellte die Leiterin des Förderzentrums an der Marcusallee
die Situation aus der Sicht der Schulpraxis dar. Die Schule umfasse die Klassenstufen
1 bis 10, sei zwar sehr klein, aber aufgrund dessen kenne man jeden einzelnen
Schüler und jedes Elternhaus. Zu unterscheiden sei zwischen dem Unterricht in
der Primarstufe und der Sekundarstufe. Der Unterricht in der Primarstufe entspreche
dem Jahresverlauf. Es gebe Feiern zu Ostern, zum Sommer- und Herbstanfang, zu
Halloween, Nikolaus und Weihnachten, an denen die Kinder der Zeugen Jehovas
nicht teilnehmen dürfen. Bei einer der letzten Weihnachtsfeiern habe eine Schülerin
bereits eine Rolle übernommen gehabt, die sie sehr gerne habe spielen wollen. Nachdem
die Eltern davon erfahren hatten, habe sie diese Rolle nicht mehr spielen dürfen,
sodass sie nur noch bei den Requisiten habe tätig sein können. Auffällig sei, dass
die Kinder am Montag in der Regel keine Hausaufgaben gemacht hätten. Es werde
die Auffassung vertreten, dass das geringere Aufgabenvolumen vom Freitag zu erfüllen
sei. Am Montag werde darauf verwiesen, dass die Kinder am Wochenende
keine Zeit hatten, weil sie mit den Eltern zu den Feierlichkeiten der Zeugen Jehovas
unterwegs gewesen seien.
Auch im sozialen Bereich sei eine starke Ausgrenzung der Kinder zu beobachten.
Während die Schule die Inklusion als Ziel anstrebe, würden die Kinder der Zeugen
— 19 —
Jehovas exkludiert, da ihnen die Teilnahme an Feiern nicht gestattet werde. Das Förderzentrum
an der Marcusallee sei eine überregionale Schule, sodass sich die Kinder
nachmittags mit anderen verabreden, auch um eventuell zu übernachten. Diese Aktivitäten
seien den Kindern der Zeugen Jehovas ebenso wie die Teilnahme an Klassenfahrten
nicht erlaubt. Da Klassenfahrten im Lehrplan als verpflichtender Unterrichtsbestandteil
ausgewiesen seien, müsse stattdessen für die Kinder der Zeugen
Jehovas eine vernünftige alternative Beschäftigung für die Dauer der Klassenreise
gefunden werden. Häufig werde ihnen die Ableistung eines Praktikums angeboten.
Es finde aufgrund der Nichtteilnahme an außerunterrichtlichen Aktivitäten eine nahezu
vollständige Ausgrenzung statt. Während türkische Eltern zum Teil nach Ansprache
durch die Schule ihren Kindern die Teilnahme an diesen Aktivitäten ermöglichen
würden, seien die Eltern der Jehovas Zeugen in der Regel nicht zu überzeugen.
Der Vertreter des Ressorts Bildung und Wissenschaft ergänzte, dass im Rahmen von
Schulleiterdienstbesprechungen das Thema Klassenfahrten und die Teilnahme daran
behandelt werde, wobei dies nicht nur ein Problem der Kinder der Zeugen Jehovas,
sondern muslimische Kinder betreffe. Gegenwärtig werde eine Handreichung vorbereitet,
wie mit religiöser Heterogenität im Zusammenhang mit Klassenfahrten,
Schulfeiern, Festen und Abschlussfahrten umgegangen werden solle. Die als Pflichtveranstaltungen
einzuordnenden Klassenfahrten seien so offen zu gestalten, dass
jeder Schüler daran teilnehmen könne. Im Rahmen von Einzelgesprächen seitens
der Schulleitungen, häufig auch begleitet von Vertretern der Schulaufsicht, würden
bei den muslimischen Eltern in der Regel Erfolge erzielt, sodass diesen Kindern die
Teilnahme ermöglicht werde. Bei den Zeugen Jehovas gelinge dies hingegen nicht.
Hinsichtlich des Auftrages der Schule, Kinder zu selbstständigen und selbstdenkenden
Menschen zu erziehen, ergänzte die Leiterin des Förderzentrums an der Marcusallee,
dass dies bei den Kindern der Zeugen Jehovas in der Regel nicht möglich sei.
VI. Auswertung der Anhörungen vom 16. Februar 2011 sowie der ergänzenden
Ausführungen vom 16. März 2011 unter Einbeziehung der Stellungnahme der
Zeugen Jehovas in Deutschland vom 28. März 2011
Die durch den Rechtsausschuss der Bürgerschaft (Landtag) durchgeführte Anhörung
ergab, dass eine eigenständige Prüfung der Rechtstreue als Voraussetzung für eine
Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts in der Freien Hansestadt
Bremen auch nach einer sogenannten Erstverleihung durch das Bundesland
Berlin zulässig ist. Die Frage der „Gewähr der Rechtstreue“ der Zeugen Jehovas im
Hinblick auf die Beeinträchtigung oder Gefährdung der Grundrechte Dritter wurde
für die Freie Hansestadt Bremen noch nicht verbindlich gerichtlich entschieden, sodass
eine andere rechtliche Würdigung als die bisher vom Oberverwaltungsgericht
Berlin für das Land Berlin vertretene zulässig ist. Das Oberverwaltungsgericht Berlin
hat anders als im Gesetzgebungsverfahren in der Freien Hansestadt Bremen die
Aussagen ehemaliger Zeugen Jehovas, ihrer Angehörigen, Vertretern von Selbsthilfevereinen
und Beratungsinstitutionen nicht in seine Entscheidungsfindung einbezogen.
Der Rechtsausschuss wertete die Anhörungen vom 16. Februar 2011 sowie die ergänzenden
Ausführungen der Ressortvertreter vom 16. März 2011 unter Einbeziehung
der Stellungnahme der Zeugen Jehovas in Deutschland vom 28. März 2011 wie folgt
aus:
1. Ehe und Familie
Nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz stehen Ehe und Familie unter dem besonderen
Schutz der staatlichen Ordnung. Es ist zu beleuchten, ob und inwieweit die Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen durch ihr Verhalten und durch ihre Mitglieder den
grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie beeinträchtigt oder gar
gefährdet. Eine Beeinträchtigung oder Gefährdung könnte in der Ausgrenzung der
sich von der Religionsgemeinschaft abwendenden Familienmitglieder gesehen werden.
Dabei kann es sich sowohl um Ehepartner als auch um Kinder – insbesondere
volljährige Kinder – einer Familie der Zeugen Jehovas handeln.
Sowohl in der öffentlichen Anhörung als auch im nicht öffentlichen Teil erklärten die
in der Aussteigerberatung tätigen Referenten sowie die Vertreter der Aussteigerorganisationen
übereinstimmend, dass sowohl nach den Schriften der Zeugen Jehovas
— 20 —
als auch nach dem Verhalten der Ältesten aber auch der Mitglieder der Religionsgemeinschaft
selbst die Erwartungshaltung formuliert werde, dass der Kontakt zu einem
nicht mehr der Religionsgemeinschaft angehörenden Familienmitglied abgebrochen
oder mindestens sehr stark eingeschränkt werden müsse.
Auch wenn die Religionsgemeinschaft in der vom Rechtsausschuss erbetenen gesonderten
Stellungnahme darstellt, dass die Mitglieder in diesen Fällen einen Entscheidungsspielraum
hätten, so wurde von den Referenten in der Anhörung glaubhaft
versichert, dass aktiv auf die Trennung von ausgestiegenen Ehepartnern und Familienmitgliedern
hingewirkt werde. Der Justiziar der Religionsgemeinschaft Zeugen
Jehovas hat dieser Darstellung in der Anhörung sowie in der Stellungnahme nicht
konkret widersprochen.
Das Verhalten der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gefährdet insbesondere
den Bestand von Familien, da in diversen Schriften Verhaltensregeln aufgestellt werden,
nach denen der Kontakt zu aus der Religionsgemeinschaft ausgeschlossenen
oder ausgetretenen Familienmitgliedern abzubrechen sei. Dieser Umstand wurde
von den Referenten der Beratungsinstitutionen und Aussteigerorganisationen in der
Anhörung sowie durch Zitate aus Veröffentlichungen der Religionsgemeinschaft belegt.
Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Entscheidung vom 19. Dezember
2000 (2 BvR 1500/97) von einer typisierenden Gesamtbetrachtung. Der Sachverhalt
des Trennungsgebotes wurde auch von der Aussteigerin, die in nicht öffentlicher
Sitzung angehört wurde, bestätigt. Die Mutter der Aussteigerin brach den ursprünglich
sehr intensiven Kontakt zur Tochter nach deren Austritt aus der Religionsgemeinschaft
nahezu vollständig ab.
Das Verhalten der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas stellt auch eine Gefährdung
des Bestandes der Ehe dar. Der Ehepartner, der ausgeschlossen wird oder
aus der Gemeinschaft austritt, gilt als „abtrünnig“. Auch in diesen Fällen wird der
Abbruch des Kontaktes von der Religionsgemeinschaft sowohl nach ihren Schriften
als auch nach ihrem Verhalten erwartet. Diesen Sachverhalt haben die umfangreichen
Stellungnahmen der Vertreterinnen und Vertreter der Aussteigerorganisationen
bestätigt.
Der Weltanschauungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche berichtete
anhand seiner praktischen Erfahrung und aus langjähriger Beratungstätigkeit, dass
die Religionsgemeinschaft erwarte, dass sich der noch an Jehova Glaubende von dem
sich einer anderen Glaubens- oder Lebensanschauung nähernden Partner trenne
und keinerlei Kontakt mehr halte. Im Jahr 2010 habe er insgesamt 15 entsprechende
Beratungsfälle betreffend Jehovas Zeugen gehabt, die damit eindeutig an der Spitze
im Vergleich zu anderen Sekten oder Religionsgemeinschaften stehen.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen durch
ihr Verhalten und durch ihre Schriften Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz verletzt, indem
sie den Schutz von Ehe und Familie beeinträchtigt oder gefährdet.
2. Religionsfreiheit
Nach Artikel 4 Absatz 1 Grundgesetz ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens
und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich.
Die Verfassungsvorschrift beinhaltet somit ausdrücklich eine negative Komponente
der Religionsfreiheit, sodass die Entscheidung für oder gegen einen Glauben ausschließlich
Sache des Einzelnen und nicht des Staates ist. Der Staat darf einen Glauben
oder eine Religion weder vorschreiben noch verbieten. Die Glaubensfreiheit beinhaltet
nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit,
nach eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Diese Freiheit
schließt das Recht eines jeden ein, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens
fern bleiben zu können (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Urteil vom
16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91). Die Religionsfreiheit dokumentiert sich auch darin,
ein Bekenntnis oder eine Zugehörigkeit zu einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft
selbst und frei von staatlichem Zwang zu bestimmen. Eingeschlossen ist ausdrücklich
die Freiheit, einer Kirche oder einer solchen Religionsgemeinschaft fern
bleiben zu können, ebenso wie die freie Entscheidung, sich jederzeit von der kirchlichen
Mitgliedschaft durch Austritt zu befreien. Dies vorausgesetzt, hat das Bundesverfassungsgericht
in seinem Urteil vom 19. Dezember 2000 (2 BvR 1500/97) den mit
der Prüfung des Antrags der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas auf Verleihung
der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft betrauten Behörden und
— 21 —
Gerichten ausdrücklich den Auftrag erteilt, zu prüfen, ob die Religionsgemeinschaft
der Zeugen Jehovas Austrittwillige zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten
Mitteln in der Gemeinschaft festhält und damit die von Artikel 4 Grundgesetz
postulierte negative Religionsfreiheit beeinträchtigt oder gefährdet.
Das Bundesverfassungsgericht fasst in seiner Entscheidung zusammen, dass ein solches
Verhalten zur Versagung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus führen
müsse. Beeinträchtigt oder gefährdet der Austritt aus der Religionsgemeinschaft der
Zeugen Jehovas den grundgesetzlich garantierten Schutz von Ehe und Familie, so
hat dies regelmäßig Auswirkungen auf das beabsichtigte Ausscheiden aus der Religionsgemeinschaft,
sodass eine Verletzung der Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz
die Folge sei (vergleiche Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Mai 2001
– 7 C 1/01).
Nach allem kann eine Beeinträchtigung und Gefährdung der negativen Religionsfreiheit
austrittwilliger Mitglieder durch die Zeugen Jehovas angenommen werden.
Dem steht auch nicht die Ausübung der positiven Religionsfreiheit der Zeugen Jehovas
als Rechtfertigungsgrund entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil vom 19. Dezember 2000 ausdrücklich festgestellt, dass sich eine Gemeinschaft
nicht auf die Ausübung ihrer Religionsfreiheit berufen könne, um eine Beeinträchtigung
oder Gefährdung der Grundrechte Dritter zu rechtfertigen. Vielmehr sei eine
Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts dazu angehalten, die
ihr übertragene Hoheitsgewalt im Einklang mit den verfassungsrechtlichen und sonstigen
gesetzlichen Vorgaben auszuüben, auch wenn nicht jeder einzelne Verstoß
gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen Verhaltens infrage stelle.
Die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts setzt voraus,
dass die selbst nicht an die einzelnen Grundrechte gebundenen Religionsgemeinschaften
die Grundrechte beachten. Hierzu gehören der Schutz von Ehe und Familie
nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz sowie die Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz.
Die Voraussetzung der Rechtstreue wird verfassungsrechtlich insoweit beschränkt,
als die an die Rechtstreue gerichteten Anforderungen nicht so zu fassen
sind, dass sie ihrerseits im Widerspruch zu den prinzipiellen Wertungen des verfassungsrechtlichen
Religions- und Staatskirchenrechts stehen. Wegen des staatlichen
Neutralitätsgebotes dürfe daher nicht der Glaube als solcher, sondern das Verhalten
einer Religionsgemeinschaft beziehungsweise ihrer Mitglieder bewertet werden. So
verlange die Religionsfreiheit ferner, dass sich aus der Verfassung keine Vorgabe für
die Binnenstruktur einer Religionsgemeinschaft ergeben und dass eine besondere,
über die Rechtstreue hinausgehende Loyalität zum Staat auch von einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts nicht gefordert werden dürfe (vergleiche Bundesverfassungsgericht,
Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97).
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass ein die Grundrechte Dritter beeinträchtigendes
oder gefährdendes Verhalten grundsätzlich nicht mit der Wahrnehmung der eigenen
Religionsfreiheit zu rechtfertigen ist. Das von Artikel 4 Absätze 1 und 2 Grundgesetz
umfasste einheitliche Grundrecht, zu glauben oder nicht zu glauben, die Freiheit,
den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, schließt ebenso das Recht des
Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten
und entsprechend seiner inneren Glaubensüberzeugung zu handeln, ein. Artikel 4
Grundgesetz schützt gleichermaßen die Werbung für einen Glauben und das Abwerben
von einem anderen Glauben (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Entscheidung
vom 8. November 1960 – 1 BvR 59/65).
Ungeachtet der in Artikel 4 Absätze 1 und 2 Grundgesetz vorbehaltlos verbürgten
Glaubensfreiheit können sich aus der Verfassung selbst Einschränkungen ergeben,
insbesondere, wenn Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang
berührt sind (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24. September
2003 – 2 BvR 1436/02). Diese Einschränkungen begründen sich aus dem Schutz der
Familie als Lebens- und Begegnungsgemeinschaft nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz,
aus der negativen Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz sowie aus dem
von Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz auch bei der Verleihung der Rechte einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts nach Artikel 140 Grundgesetz, Artikel 137 Absatz 5
Weimarer Verfassung gebotenen Schutzauftrag des Staates.
Unberührt bleibt das Recht einer Religionsgemeinschaft – wie zum Beispiel Zeugen
Jehovas –, selbst darüber zu bestimmen, wer Mitglied sein und wer wegen einer
Nichtübereinstimmung mit der Lehre von der Religionsgemeinschaft ausgeschlos—
22 —
sen werden kann. Eine darüber hinausgehende Sanktionierung eines Austrittes oder
eines Ausschlusses, die geeignet ist, Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz und damit Grundrechte
Dritter zu verletzen, ist verfassungsrechtlich unzulässig, da das Grundrecht
Dritter höher zu bewerten ist (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Beschluss der
3. Kammer des 1. Senats vom 21. Juli 2005 – 1 BvR 817/05). Der aus religiösen Gründen
empfohlene Abbruch des Kontaktes zu „abtrünnigen“ Familienangehörigen ist
zwar von der Glaubensfreiheit erfasst, aber verfassungsrechtlich mit geringerem Gewicht
einzuordnen als das Grundrecht auf negative Religionsfreiheit eines austrittswilligen
Mitglieds der Zeugen Jehovas. Die Androhung eines Kontaktabbruchs soll
den Austrittswilligen zum Verbleib in der Religionsgemeinschaft zwingen, sodass
dieser in seiner Religionsfreiheit nachhaltig beeinträchtigt wird.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Verhalten der Zeugen Jehovas den Schutz der
Familie und im Falle der „Abtrünnigkeit“ eines Partners auch den Schutz der Ehe
(Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz) beeinträchtigt und gefährdet. Zudem wird die negative
Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz beeinträchtigt und gefährdet.
Diese Grundrechtspositionen überwiegen im Rahmen einer Abwägung die Religionsfreiheit
der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, sodass die Verletzung
dieser Grundrechte der Verleihung des Körperschaftsstatus nach Artikel 140 Grundgesetz,
Artikel 137 Absatz 5 Weimarer Verfassung entgegensteht.
3. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
Nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz hat jeder das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit, dies gilt insbesondere für Kinder, die noch nicht über einen
eigenen Entscheidungswillen verfügen. Grundsätzlich untersagt die Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen ihren Mitgliedern, die Zustimmung zu Bluttransfusionen bei
minderjährigen Kindern zu erteilen, auch dann, wenn nach ärztlicher Beurteilung
die Bluttransfusion das einzige Mittel ist, um das Leben des Kindes zu erhalten.
Aus den Stellungnahmen der Experten in der Anhörung ergab sich zweifelsfrei, dass
die Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas die Durchführung von Bluttransfusionen,
auch wenn sie zum Erhalt des Lebens zwingend erforderlich sind, grundsätzlich ablehnt.
Die Mediziner berichteten in der Anhörung allgemein aus ihrer Praxis unter
Berücksichtigung der ärztlichen Schweigepflicht. Eine Bluttransfusion wird bei Minderjährigen
gegen den Willen der Eltern durchgeführt. Verweigern die Eltern die
Zustimmung wird eine richterliche Entscheidung herbeigeführt, die das Leben des
betroffenen Kindes rettet.
Die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen hingegen legte in der Anhörung dar,
dass sie sich allein gegen den „eigenhändigen“ Beitrag von Mitgliedern zur Bluttransfusion
in der Form der Zustimmungserklärung wende, sodass die ersetzte Einverständniserklärung
kein Problem bedeute.
Dies entspricht nicht den Erfahrungsberichten aus der medizinischen Praxis. Zur Rolle
der Verbindungskomitees führte Prof. Dr. Huppertz in der Anhörung aus, dass er
deren Teilnahme nicht als unterstützend, sondern im Gegenteil als die Entscheidung
erschwerend wahrgenommen habe. Die sich aus den Schriften ergebenden Grundsätze
zur Bluttransfusion sind eindeutig, sodass davon ausgegangen werden muss,
dass ein Zeuge Jehovas es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren darf, einer Bluttransfusion
bei seinem minderjährigen Kind zuzustimmen. Zum Teil wird in den Schriften
der Religionsgemeinschaft ausgeführt, dass Kinder vor einer Bluttransfusion zu
schützen seien. Die von den Zeugen Jehovas unterhaltenen Krankenhausverbindungskomitees
sorgen dafür, dass Mitglieder der Religionsgemeinschaft nur solche
Kliniken aufsuchen, in denen Ärzte ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur
Anwendung alternativer Methoden erklärt haben; hingegen unkooperative Ärzte
und Krankenhäuser von Mitgliedern der Religionsgemeinschaft zu meiden sind. Diese
Vorgaben können im Einzelfall zu einer Gefährdung des Lebens Minderjähriger führen,
wenn im Notfall nicht das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht wird. Inwieweit
nach einer dennoch durchgeführten Bluttransfusion bei einem Minderjährigen
die Glaubensgemeinschaft die Eltern anhält, das Kind zur Adoption freizugeben,
konnte nicht verifiziert werden.
Die Verhaltensregeln der Zeugen Jehovas für den Fall einer drohenden Bluttransfusion
bei Minderjährigen stellen nicht nur eine Bestärkung im Glauben dar. Es wird
vielmehr starker psychischer Druck ausgeübt, damit sich die Eltern gegen eine Bluttransfusion
mit möglichst allen legalen Mitteln zur Wehr setzen. Die Folge kann sein,
— 23 —
dass Eltern in ihrem Bemühen, gegen eine staatlich verordnete Transfusion anzukämpfen,
das Leben oder die Gesundheit ihrer Kinder riskieren, insbesondere wenn
sie zu spät um ärztliche oder um genügende medizinische Hilfe nachsuchen. Daraus
ergibt sich die Gefahr, dass eine gerichtliche Entscheidung nach § 1666 Bürgerliches
Gesetzbuch unterbleibt. Dies stellt eine Verletzung des gebotenen Schutzes von Leib
und Leben Minderjähriger und somit einen Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 2 Satz 1
Grundgesetz dar, sodass sich die Zeugen Jehovas insoweit nicht rechtstreu verhalten.
Darüber hinaus vertritt der Rechtsausschuss die Auffassung, dass im Verbot von Bluttransfusionen
eine grundsätzlich erhebliche Grundrechtsgefährdung für Kinder liegt,
auch wenn diese Gefährdung bisher in Bremen durch ärztliches und gerichtliches
Handeln „geheilt“ werden konnte. Anhand der in der Anhörung geschilderten Sachverhalte
wird deutlich, dass die Religionsgemeinschaft Grundrechtsgefährdungen
bis hin zu Todesfällen von Kindern in Kauf nimmt und diesbezüglich auch massiv
Einfluss auf Elternentscheidungen nimmt. Aus Sicht des Rechtsausschusses liegt hierin
eine Grundrechtsgefährdung des Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz, die der
Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts an Zeugen Jehovas in
Bremen entgegensteht.
4. Kindeswohl
Der Verleihung der Körperschaftsrechte könnte eine Gefährdung des Kindeswohls,
das insbesondere körperliche Züchtigungen und Kindesmissbrauch verbietet und
Schulbildung und Persönlichkeitsentwicklung gebietet, entgegenstehen (Artikel 2
Absatz 1 einhergehend mit der staatlichen Schutzpflicht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 2
Grundgesetz). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Mai 2001
(7 C 1/01) zur Prüfung der Rechtstreue im Hinblick auf die Haltung der Zeugen Jehovas
zu körperlichen Züchtigungen keine inhaltlichen Vorgaben gemacht.
Der in § 1631 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch formulierte Rechtsanspruch der Kinder
auf gewaltfreie Erziehung, wonach eine körperliche Bestrafung, seelische Verletzungen
und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind, wird von den
Zeugen Jehovas nach Auffassung und aufgrund der Erkenntnisse aus der Anhörung
im Rechtsausschuss nicht hinreichend beachtet. Die von Vertretern der Aussteigerorganisationen
in der Anhörung am 16. Februar 2011 zitierten Textpassagen aus
Veröffentlichungen der Religionsgemeinschaft lassen den Schluss zu, dass körperliche
Züchtigung als probates Mittel empfohlen wird.
Ehemalige Zeugen Jehovas äußerten in der öffentlichen Anhörung ausnahmslos, dass
sie selbst von Züchtigungen betroffen waren oder Zeugen derartiger Züchtigungen
bis in die Gegenwart geworden sind. Das Gleiche gilt für die Aussage der Betroffenen
in nicht öffentlicher Sitzung. Auch der Weltanschauungsbeauftragte der Bremischen
Evangelischen Kirche berichtete aus seiner praktischen Erfahrung und aus
langjähriger Beratungstätigkeit, dass das Züchtigungsrecht der Eltern gegenüber den
Kindern immer wieder in der Beratung von Aussteigern auftauchte.
Der Rechtsausschuss ist daher zu der Auffassung gelangt, dass die Religionsgemeinschaft
der Zeugen Jehovas das Kindeswohl aufgrund der Befürwortung und verbreiteten
Praktizierung der körperlichen Züchtigungen von Kindern gefährdet.
Zur Frage, ob sich aus dem Umgang mit Fällen des Kindesmissbrauchs bei den Zeugen
Jehovas Zweifel an der Rechtstreue ergeben, haben die Vertreterinnen und Vertreter
der Aussteigerorganisationen unterschiedliche Angaben gemacht. Mindestens
problematisch erscheint, dass die sogenannte Zweizeugenregelung dem Opfer eine
Beweisführung des sexuellen Missbrauchs nahezu unmöglich macht. Aber auch wenn
sich daraus gewisse Zweifel an der Rechtstreue der Religionsgemeinschaft ergeben
sollten, so sind tatsächliche Vorkommnisse weder in der öffentlichen noch in der
nicht öffentlichen Anhörung belastbar bestätigt worden, sodass hier kein Versagungsgrund
gegeben sein dürfte.
5. Schulbildung und Persönlichkeitsentwicklung
Die Vertreter der Aussteigerorganisationen berichteten nahezu übereinstimmend,
dass die Schulbildung und insbesondere auch die Persönlichkeitsentwicklung von
Kindern aus Familien der Zeugen Jehovas keinen großen Stellenwert hat und belegten
dies anhand eigener Erfahrungen und von Zitaten aus den internen Schriften der
— 24 —
Religionsgemeinschaft. Kinder aus Familien der Zeugen Jehovas werden nach den
Aussagen und ergänzenden Stellungnahmen der Vertreter der Senatorin für Bildung
und Wissenschaft ausgegrenzt, indem sie an üblichen Veranstaltungen – mit teilweise
verpflichtendem Charakter – in der Schule nicht teilnehmen dürfen. Nach ihrem Glauben
ist ihnen untersagt, Geburtstage zu feiern, Theater zu spielen, an Feiern zu Weihnachten
und Ostern sowie an Klassenfahrten teilzunehmen. Sie nehmen am regulären
Unterricht einschließlich Schulsport teil und sind insoweit in eine Klassengemeinschaft
integriert.
Durch die Expertenaussagen konnte jedoch nicht abschließend geklärt werden, ob
Jehovas Zeugen tatsächlich eine bildungsfeindliche Grundhaltung haben und daraus
Nachteile insbesondere bezüglich der Persönlichkeitsentwicklung entstehen könnten.
Auch unter Einbeziehung der in der Anhörung vorgetragenen Zitate und der Erfahrungen
aus der pädagogischen Praxis kann hinsichtlich der Aspekte Bildung und allgemeine
Persönlichkeitsentwicklung eine Gefährdung des Kindeswohls nicht sicher
festgestellt werden.
6. Ergänzende Stellungnahme Jehovas Zeugen in Deutschland vom 28. März 2011
zur Anhörung vom 16. Februar 2011
Der Rechtsausschuss gab der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas in Deutschland
nach der öffentlichen Anhörung am 16. Februar 2011 noch einmal Gelegenheit
zu einer schriftlichen Stellungnahme und übersandte zu diesem Zweck das vollständige
Wortprotokoll dieser Anhörung. Im Rahmen der Beschlussfassung zu diesem
Bericht erörterte der Rechtsausschuss die Stellungnahme der Zeugen Jehovas in
Deutschland vom 28. März 2011.
Die Zeugen Jehovas kritisieren die Vorgehensweise des Rechtsausschusses, die rechtsstaatlichen
Mindeststandards nicht genüge. Insbesondere wird bemängelt, dass sich
der Rechtsausschuss zunächst nicht mit den wissenschaftlichen Grundlagen zum
Thema befasst und diese nicht zur Basis seiner Beratung gemacht habe.
Die Religionsgemeinschaft kritisiert des Weiteren die Auswahl der Referenten, die
mit Ausnahme der behördlichen Vertreter und Ärzte ausschließlich aus Aussteigern
der Religionsgemeinschaft zusammengesetzt gewesen seien, mit dem Vorwurf, die
weltanschauliche Neutralität des Staates nicht beachtet zu haben. Die an den Rechtsausschuss
gerichtete Forderung, der Religionsgemeinschaft Gelegenheit zu geben,
entsprechende Zeugen zu benennen und anzuhören, damit die verzerrte Darstellung
der Glaubenspraxis der Religionsgemeinschaft, die durch die Anhörung vom
16. Februar 2011 entstanden sei, richtig gestellt werden könne, war aus Sicht des
Rechtsausschusses nicht geboten.
Nach Ansicht der Zeugen Jehovas ist der Rechtsausschuss mit der Wahl der Themenkomplexe
für die öffentliche Anhörung weit über den Prüfungsansatz der Rechtstreue
nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts
hinausgegangen. Unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht
wird vorgetragen, dass das behauptete Verbot des Kontaktes mit nicht gläubigen
Kindern, das Verbot der Teilnahme an weltlichen Veranstaltungen – wie Geburtstagsfeiern,
Schulsport oder sonstigen Jugendveranstaltungen, an Klassenfahrten sowie
an allgemein schulischen Aktivitäten außerhalb des Lehrplans – keine Gefährdung
des Kindeswohls bedeute. Auch die damit einhergehende Außenseiterstellung
der Kinder von Zeugen Jehovas könne nicht mit einer Gefährdung des Kindeswohls
gleichgesetzt werden. Dies gelte auch für die Behauptung, dass eine höhere Schulbildung
oder Hochschulausbildung nicht für erstrebenswert gehalten werde. Eine
Grundrechtsgefährdung aus diesem Anlass zu behaupten, sei unzulässig, da anderenfalls
Gesellschaftsgruppen, deren Kinder ebenfalls einen niedrigen Anteil am akademischen
Nachwuchs stellten, ein ähnliches Fehlverhalten anzulasten sei. Unter
Berufung auf das Urteil des Oberwaltungsgerichts Berlin tragen die Zeugen Jehovas
vor, die erhobenen Vorwürfe hätten sich im Übrigen nicht verifizieren lassen.
Im Weiteren äußerten die Zeugen Jehovas Kritik an der Art und Weise der Untersuchung
und Fragestellung des Rechtsausschusses. Der Rechtsausschuss stellt fest, dass
die Aussagen der angehörten Expertinnen und Experten als glaubhaft einzuschätzen
sind und im deutlichen Gegensatz zu den Angaben der Zeugen Jehovas stehen.
Einem parlamentarischen Ausschuss steht es zu, über die Inhalte seiner Arbeit und
sein Vorgehen frei zu entscheiden.
— 25 —
B. Ergebnis der Beratungen des Rechtsausschusses
Der Rechtsausschuss kommt in seiner Gesamtbewertung – und in überwiegender
Übereinstimmung mit der Landesregierung Baden-Württemberg – zu folgendem Ergebnis:
1. Bremen ist verfassungsrechtlich befugt, die Voraussetzungen für die Verleihung
der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts für das Land Bremen auch
nach einer sogenannten Erstverleihung durch ein anderes Bundesland eigenständig
zu prüfen.
2. Die Frage, ob die Zeugen Jehovas die „Gewähr der Rechtstreue“ im Hinblick
auf die Beeinträchtigung oder Gefährdung der Grundrechte Dritter bieten, ist
für Bremen noch nicht verbindlich gerichtlich entschieden. Insoweit besteht die
Möglichkeit einer anderen rechtlichen Würdigung, als sie bisher vom Oberverwaltungsgericht
Berlin für das Land Berlin vertreten worden ist. Das Urteil
des Oberverwaltungsgerichts Berlin weist nach Auffassung des Rechtsausschusses
Mängel auf.
3. Es kann vertretbar angenommen werden, dass die Religionsgemeinschaft der
Zeugen Jehovas keine Gewähr der Rechtstreue bietet:
— Sie beeinträchtigt und gefährdet wegen des von ihr geforderten Verbots
des Kontakts mit ausgetretenen oder ausgeschlossenen Mitgliedern der
Zeugen Jehovas das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und der
Ehe (Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz).
— Damit hält sie zugleich mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln austrittswillige
Mitglieder in der Religionsgemeinschaft fest und beeinträchtigt und
gefährdet das Grundrecht auf (negative) Religionsfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz).
— Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas gefährdet wegen des nach
ihren Regeln bestehenden Verbots, auch im äußersten Notfall Blut- oder
Hauptbestandteile des Blutes anzunehmen, Leib und Leben minderjähriger
Kinder und Jugendlicher (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz).
— Darüber hinaus ist der Rechtsausschuss zu der Auffassung gelangt, dass die
Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas das Kindeswohl aufgrund der
Befürwortung und verbreiteten Praktizierung von körperlichen Züchtigungen
von Kindern gefährdet.
4. Hilfsweise ist die Auffassung vertretbar, dass der Antrag auf Verleihung der besonderen
öffentlich-rechtlichen Körperschaftsrechte auch dann abgelehnt werden
kann, wenn die Gewähr der Rechtstreue trotz aller zumutbaren Aufklärungsversuche
unklar bleibt.
Die Gewähr der Rechtstreue ist nicht gegeben, da wegen des geforderten Kontaktverbotes
mit ausgetretenen oder ausgeschlossenen Mitgliedern der Zeugen Jehovas
der Grundrechtsschutz von Familie und Ehe beeinträchtigt und gefährdet wird. Des
Weiteren liegt eine Beeinträchtigung und Gefährdung des Grundrechts auf negative
Religionsfreiheit, bedingt durch die Sanktionen gegenüber austrittswilligen Mitgliedern,
vor.
Im Weiteren ist eine Gefährdung durch das nach den Glaubensregeln bestehende
Verbot, auch im äußersten Notfall Blut oder Hauptbestandteile des Blutes anzunehmen,
für Leib und Leben minderjähriger Kinder und Jugendlicher gegeben.
Hinzu kommt eine generelle Gefährdung des Kindeswohls aufgrund der Befürwortung
und Praktizierung von körperlicher Züchtigung von Kindern, die bis in die Gegenwart
von Aussteigern und ihren Selbsthilfeorganisationen geschildert wurden.
Die Grundrechte des Schutzes von Ehe und Familie, der Religionsfreiheit sowie der
Unversehrtheit von Leib und Leben insbesondere minderjähriger Kinder werden nach
Ansicht des Rechtsausschusses durch die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas
beeinträchtigt oder gefährdet, sodass die Gewähr der Rechtstreue nicht konstatiert
werden kann. Infolge dessen ist der Gesetzesantrag auf Verleihung der Rechte einer
Körperschaft öffentlichen Rechts an die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas
abzulehnen.
Der Rechtsausschuss weist ausdrücklich darauf hin, dass in diesem Verfahren nicht
über ein Verbot der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas und ihrer Glaubens—
26 —
betätigung, sondern lediglich über die Verleihung eines Privilegiertenstatus mit besonderen
Rechten in Bremen zu entscheiden ist.
C. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
Der Rechtsausschuss schloss seine Beratungen in seiner Sitzung am 14. April 2011
mit dem Beschluss über diesen Bericht ab und leitet der Bürgerschaft (Landtag) die
nachfolgenden Beschlussempfehlungen zu:
1. Gesetz über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts
an Jehovas Zeugen in Deutschland (Drs. 17/819)
Der Rechtsausschuss empfiehlt der Bürgerschaft (Landtag) einstimmig, das Gesetz
über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts an
Jehovas Zeugen in Deutschland (Drs. 17/819) abzulehnen und der Religionsgemeinschaft
Jehovas Zeugen die Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts
in der Freien Hansestadt Bremen im Wege der Zweitverleihung nicht zuzubilligen.
2. Gesetz über die Veränderung des Verfahrens hinsichtlich der Anerkennung von
Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Weltanschauungsgemeinschaften
als Körperschaft des öffentlichen Rechts (Drs. 17/913)
Der Rechtsausschuss empfiehlt der Bürgerschaft (Landtag) einstimmig, den von
der damaligen Fraktion der FDP mit der Drucksache 17/913 (Neufassung der
Drs. 17/892) eingebrachten Gesetzesantrag über die Veränderung des Verfahrens
hinsichtlich der Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften
sowie Weltanschauungsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts
abzulehnen.
D. Antrag des Rechtsausschusses
1. Der Rechtsausschuss empfiehlt der Bürgerschaft (Landtag) einstimmig, das
Gesetz über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft öffentlichen Rechts
an Jehovas Zeugen in Deutschland (Drs. 17/819) abzulehnen.
2. Der Rechtsausschuss empfiehlt der Bürgerschaft (Landtag) einstimmig, das
Gesetz über die Veränderung des Verfahrens hinsichtlich der Anerkennung von
Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Weltanschauungsgemeinschaften
als Körperschaft des öffentlichen Rechts (Drs. 17/913) abzulehnen.
Insa Peters-Rehwinkel
(Vorsitzende)
Druck: Anker-Druck Bremen

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Zeugen Jehovas Bremen – Keine Anerkennung als Körperschaft

Von Marcus Schuster
Bremen. Die Bremer Bürgerschaft hat die Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts abgelehnt. Die FDP hatte den Antrag in das Landesparlament eingebracht – aber nur, um derartige Anerkennungen von Religionsgemeinschaften in „ein Verfahren beim Senat umzuwandeln“, so Magnus Buhlert.

„Eine Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts wollen auch wir nicht“, betonte der FDP-Abgeordnete. Eben jener zweite Antrag, eine Gesetzesänderung des Verfahrens, wurde von der Mehrheit in der Bürgerschaft ebenfalls abgelehnt.

Zahlreiche Abgeordnete äußerten sich vor der Abstimmung zu den, wie sie einstimmig betonten, intensiven Erörterungen in ihren jeweiligen Fraktionen. Insa Peters-Rehwinkel (SPD) hob den Aufwand hervor, mit dem man sich mit den Zeugen Jehovas auseinandergesetzt habe. Neben einer Anhörung von Vertretern der Religionsgemeinschaft habe man sich mit einer Stellungnahme des baden-württembergischen Justizministeriums beschäftigt. Ein Vertreter, der extra dafür in Bremen gehört wurde, empfahl, dem Antrag nicht stattzugeben.

„Das sind Grundrechtsverletzungen“

Als Gründe für Bedenken nannte Insa Peters-Rehwinkel unter anderem, dass die Zeugen Jehovas Bluttransfusionen in medizinischen Notfällen ablehnten. „Das sind Grundrechtsverletzungen, die Leib und Leben gefährden“ – besonders bei Kindern. Ein weiterer Punkt war die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern der Religionsgemeinschaft, die etwa durch Züchtigungen beeinträchtigt werde. Dennoch gehe es hier nicht um ein Verbot der Gemeinschaft, betonte Insa Peters-Rehwinkel, sondern um die Frage, warum man diese besser nicht mit den Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ausstatte.

Eine freie Willensentscheidung in der Gruppe könne angezweifelt werden. Sibylle Winther (CDU) machte dies fest am Umgang mit Abtrünnigen: Aussteiger würden gemieden. „Ich finde das unsäglich, wie da Familien und Ehen auseinandergerissen werden.“ Zur Ablehnung in ihrer Fraktion sagte Winther: „Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht.“

Zweifel an der Rechtstreue

Bei der Anhörung der Zeugen Jehovas hätten sich einfach Zweifel an deren Rechtstreue ergeben, befand Horst Frehe von den Grünen. Er erteilte deren Vorwurf, man wolle sie stets nur verbieten, eine Absage. „Unsere Gerichte entscheiden immer im Einzelfall, etwa bei einem Sorgerechtsentzug.“

Frehe zitierte aus einem Brief der Zeugen und kam zu dem Schluss: „Die Rechte aus der Religionsfreiheit, die für sie hier in Bremen gesichert sind, verwechseln sie mit den Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.“

Quelle: http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Vermischtes/376426/Keine-Anerkennung-als-Koerperschaft.html

Kommentar:
Glückwunsch an die Bremer Bürgerschaft zu dieser Entscheidung! Es wird immer deutlicher, dass man es sich in Berlin zu leicht gemacht hat. Aussteiger nicht anzuhören war ein wesentliches Defizit im Berliner Anerkennungsverfahren. Bleibt zu hoffen, dass jetzt nachgebessert wird und den Zeugen Jehovas die Körperschaftsrechte insgesamt aberkannt werden. Nicht nur Aussteiger sollten empört sein. Auch ganz unbeteiligte Bürger sollten sich hier einbringen, insbesondere aus den Bereichen Lehrer und Erzieher.

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Zeugen Jehovas – Drücker von Kindheit an – +

In diesem Video stellt + die Zeugen Jehovas Direktvertrieben wie Amway gegenüber. Jede Drückerkolonne wäre froh, wenn die eigenen Leute so gut geschult würden, wie bei den Zeugen Jehovas. Sobald ein Kind Jehova sagen kann lernt es „Zeugnis“ zu geben. Kann es lesen, wird es in die Theokratische Predigtdienstschule eingetragen und wöchentlich geschult. Ziel ist es aus ihm einen Bethelmitarbeiter zu machen oder es in fremde Länder als Missionar zu schicken. Auch dafür gibt es eine Schule. Ein selbstbestimmtes Leben gibt es nicht.
Die Kinder lernen, dass es gut ist, sogar für Jehova zu sterben, z. B. durch Verweigerung einer Bluttransfusion.

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Zeugen Jehovas – Gehirnwäsche und Gedankenkontrolle – +

+ stellt in diesem Video die Gehirnwäsche der Zeugen Jehovas der von 1984 gegenüber. Abtrünnige, also Leute wie ihn oder mich, darf man nicht reinlassen, nicht mit ihnen reden, nicht ihre Internetseiten ansehen oder ihre Videos. Sonst wird man selbst ausgeschlossen von den Zeugen Jehovas. Eine ganze Armee von Ältesten wacht und kontrolliert über die Zeugen-Schäfchen. 1984 ist dagegen fast noch harmlos.

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Blutschuld der Leitenden Körperschaft – Zeugen Jehovas – +

Zweierlei Maß heißt das Kapitel von Raymond Franz „Der Gewisssenskonflikt“. Franz zeigt, dass die Brüder in Mexiko zur zweiten Reserve des Militärs gehören und eine entsprechende Karte bei sich tragen, die der Wachttrumgesellschaft Steuerfreiheit gewährt, die Brüder in Malawi dagegen gezwungen sind keine Parteikarte bei sich zu tragen und dafür abgeschlachtet wurden. Verantwortlich dafür ist eine Entscheidung der Leitenden Körperschaft, angeblich geleitet vom Heiligen Geist Gottes, die ohne mit der Wimper zu zucken über Leben und Tod ihrer Mitglieder weltweit entscheidet.

Werdende Mütter verweigern Bluttransfusionen und sterben unter der Geburt, wie im Mittelalter. Junge Menschen nehmen sich das Leben nach einem Rechtskommiteefall. An den Händen der Leitenden Körperschaft klebt Blut. + hat das in dem folgenden Video zum Ausdruck gebracht.

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Zeugen Jehovas – Bezirkskongresse – der jährliche Streß – +

Drei oder vier Tage im Jahr ist Bezirkskongress. Tausende von Zeugen kommen zusammen in einem Stadion, bei knalliger Sonne, Regen und Wind. Egal. Sie sitzen dort mit Kind und Kegel und lauschen der Wachtturm-Elite. Man friert oder schwitzt, langweilt sich; die Beine schlafen ein und für die Kinder sind diese Tage einfach nur grausam. Stillsitzen – tagelang! + hat die Atmosphäre eingefangen. Otto-Normal-Verbraucher hat keine Vorstellung von der jährlichen Tortour.

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Bremer Rechtsausschuss Zeugen Jehovas sollen keine Körperschaft werden

Der Rechtsausschuss der Bremischen Bürgerschaft will nicht, dass die Zeugen Jehovas in Bremen zu einer Körperschaft werden. Eine entsprechende Empfehlung gaben die Politiker von SPD, CDU, den Grünen und der Linken dem Landesparlament. Die Zeugen Jehovas hatten beantragt, dass sie wie andere Religionsgemeinschaften behandelt werden und zum Beispiel Kirchensteuer einnehmen können.

Rechtsausschuss spricht sich gegen Anerkennung in Bremen aus.

Einmütig kritisierten die Mitglieder des Rechtsausschusses den Umgang der Glaubensgemeinschaft mit Abtrünnigen. Die Zeugen Jehovas fordern ihre Anhänger auf, den Kontakt sogar zu ausgetretenen Familienmitgliedern abzubrechen. Das halten viele Parlamentarier für einen Verstoß gegen die Grundrechte. Als problematisch gilt weiterhin das Verbot der Glaubensgemeinschaft, Kranken Bluttransfusionen zu geben. Das verletze das Recht auf körperliche Unversehrtheit – erst recht, wenn das Verbot Minderjährige betreffe. Jetzt muss die Bürgerschaft entscheiden.

Anerkennung bereits in zwölf Bundesländern
In zwölf Bundesländern sind die Zeugen Jehovas schon als Körperschaft anerkannt und damit den Kirchen gleichgestellt. In vier Ländern – darunter Bremen – wird noch darüber gestritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon vor elf Jahren geurteilt, dass den Zeugen Jehovas grundsätzlich die Anerkennung als Körperschaft zusteht. Die bremische Politik weiß also, dass sie ihre Ablehnung möglicherweise vor dem höchsten deutschen Gericht verteidigen muss.

Quelle: http://www.radiobremen.de/nachrichten/gesellschaft/gesellschaftbremenzeugenjehoas100.html

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Zeugenkinder in seelischer Not – Video von +

+ hat schon viele Videos gemacht. Sein bestes ist ma sim ba belle Wie ein Kind mit seiner Angst bei den Zeugen Jehovas lebt, wird hier deutlich gezeigt. Jetzt wieder verfügbar:

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Gericht: BVerfG 2. Senat – Entscheidungsname: Zeugen Jehovas, Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas

Entscheidungsdatum: 19.12.2000 Aktenzeichen: 2 BvR 1500/97
Leitsatz
1. Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will (GG Art 140
iVm WRV Art 137 Abs 5 Satz 2), muss rechtstreu sein.
a) Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, insbesondere die
ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und sonstigen
gesetzlichen Bindungen ausüben wird.
b) Sie muss außerdem die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in GG Art
79 Abs 3 umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz
anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und
Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.
2. Eine darüber hinausgehende Loyalität zum Staat verlangt das Grundgesetz nicht.
Orientierungssatz
1a. Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss
durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die prognostische Einschätzung stützen,
dass sie auch in Zukunft dauerhaft bestehen wird. Für die Einschätzung dauerhaften Bestands
ist neben dem Kriterium der Mitgliederzahl der tatsächliche Gesamtzustand der Gemeinschaft
zu würdigen.
1b. Eine förmliche Voraussetzung des Inhalts, dass sich eine Religionsgemeinschaft, die den
Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erstrebt, zunächst als eingetragener Verein zu
bewähren habe, folgt aus GG Art 140 iVm WRV Art 137 Abs 5 S 2 nicht.
1c. Auch der eschatologische Glaube steht einer positiven Einschätzung der Gewähr der Dauer
nicht entgegen.
Hier:
Der Beschwerdeführerin, der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, jedenfalls kann unter
diesem Gesichtspunkt die Gewähr der Dauer nicht abgesprochen werden. Ihr Mitgliederbestand
ist unbeeinträchtigt, obwohl mehrmals ein von ihr konkret berechneter Weltuntergang nicht
stattgefunden hat.
2a. Im Kontext des GG ist der den Religionsgemeinschaften in WRV Art 137 Abs 5 S 2
angebotene Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Mittel zur Entfaltung
der Religionsfreiheit. Der Status soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der
Religionsgemeinschaften unterstützen.
2b. Die korporierten Religionsgemeinschaften unterscheiden sich im religiös-weltanschaulich
neutralen Staat des GG, der keine Staatskirche oder Staatsreligion kennt, grundlegend von den
Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen
Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation
eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht (vgl BVerfG, 1983-12-13, 2 BvL 13/82,
BVerfGE 66, 1 <19f>).
2c. Ihnen werden aber mit dem Körperschaftsstatus bestimmte hoheitliche Befugnisse
übertragen. Diese und andere Vergünstigungen erleichtern es der Religionsgemeinschaft,
ihre Organisation und ihr Wirken nach den Grundsätzen ihres religiösen Selbstverständnisses
zu gestalten und die hierfür erforderlichen Ressourcen, etwa in Form finanzieller Mittel, zu
erlangen.
Die Vergünstigungen bewirken mit erhöhten Einflussmöglichkeiten aber auch die erhöhte
Gefahr eines Missbrauchs zum Nachteil der Religionsfreiheit der Mitglieder oder zum Nachteil
anderer Verfassungsgüter. Deswegen muss bei der Bestimmung der Voraussetzungen für die
Erlangung eines Körperschaftsstatus auch die Verantwortung des Staates zur Geltung gebracht
werden, welche das GG ihm auferlegt.
3. Zu Ls 1a:
Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen
Verhaltens in Frage. Auch den korporierten Religionsgemeinschaften ist es unbenommen,
Meinungsverschiedenheiten mit staatlichen Behörden über Grenzen der Religionsfreiheit und
des religiösen Selbstbestimmungsrechts durch die Gerichte klären zu lassen. Vorbehalte stehen
der Verleihung des Körperschaftsstatus so lange nicht im Wege, als die Religionsgemeinschaft
im Grundsatz bereit ist, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige
Ordnung einzufügen.
4. Zu Ls 1b:
4a. Eine systematische Beeinträchtigung oder Gefährdung dieser vom GG auf Dauer gestellten
Grundsätze, wozu die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie gehören, darf der Staat nicht
hinnehmen, auch nicht von Seiten einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten
Religionsgemeinschaft.
4b. An die einzelnen Grundrechte sind die korporierten Religionsgemeinschaften – außer in
Ausübung hoheitlicher Befugnisse – zwar nicht unmittelbar gebunden. Die Verleihung des Status
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bindet sie aber an die Achtung der fundamentalen
Rechte der Person, die Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist.
Das GG verpflichtet den Staat, menschliches Leben und die körperliche Unversehrtheit zu
schützen. Kinder stehen unter dem staatlichen Schutz von GG Art 2 Abs 1 und Abs 2 S 1
sowie GG Art 6 Abs 2 S 2. GG Art 4 Abs 1 und 2 fordert vom Staat, den Einzelnen und religiöse
Gemeinschaften vor Angriffen und Behinderungen von Anhängern anderer Glaubensrichtungen
oder konkurrierender Religionsgruppen zu schützen (vgl BVerfG, 1995- 05-16, 1 BvR 1087/91,
BVerfGE 93, 1 <16> – Kruzifix-Beschluß).
Ebenso darf das Verhalten solcher mit dem bevorzugten Status ausgestatteter
Religionsgemeinschaften die Grundsätze des freiheitlichen Staatskirchenrechts nicht
beeinträchtigen oder gefährden. Das Verbot einer Staatskirche sowie die Prinzipien von
Neutralität und Parität müssen unangetastet bleiben.
4c. Andererseits dürfen die rechtlichen Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft, die
Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, nicht ihrerseits in Widerspruch zu den
prinzipiellen Wertungen des verfassungsrechtlichen Religions- und Staatskirchenrechts
geraten. Wegen des Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität darf der Staat eine
antragstellende Religionsgemeinschaft nicht nach ihrem Glauben, sondern nur nach ihrem
Verhalten beurteilen.
Den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften bleibt es
unbenommen, ihr Verhältnis zu anderen Religionen und Religionsgemeinschaften nach ihrem
eigenen religiösen Selbstverständnis zu gestalten, solange sie den verfassungsrechtlichen
Ordnungsrahmen, der auch die Grundlage ihrer eigenen religiösen Freiheit bildet, nicht
beeinträchtigen. Dies wäre etwa der Fall, wenn sie auf die Verwirklichung einer theokratischen
Herrschaftsordnung hinwirkten.
5. Zu Ls 2:
Die korporierten Religionsgemeinschaften brauchen ihr Wirken nicht an den Interessen und
Zielen des Staates auszurichten, weil die Religionsfreiheit es ihnen überlässt, wie sie den ihnen
eröffneten Freiheitsraum ausfüllen. Außerdem ist „Loyalität“ ein vager Begriff, der auch auf eine
innere Disposition und nicht nur auf ein äußeres Verhalten zielt
6. Die Prüfung, ob eine Religionsgemeinschaft nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür bietet,
die in GG Art 79 Abs 3 umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die staatlichem
Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des Religions- und
Staatskirchenrechts des GG nicht zu beeinträchtigen oder zu gefährden, setzt eine komplexe
Prognose voraus. Hier ist den Fachgerichten eine typisierende Gesamtbetrachtung und
Gesamtwürdigung aller derjenigen Umstände aufgegeben, die für die Entscheidung über den
Körperschaftsstatus von Bedeutung sind.
7a. Im vorliegenden Fall hat das BVerwG zutreffend angenommen, dass der Beschwerdeführerin
der Körperschaftsstatus nicht schon wegen ihrer grundsätzlichen Haltung zum Staat versagt
werden darf, auch wenn diese den Staat als „Bestandteil der Welt Satans“ ansieht. Sie erkennt
ihn als von Gott geduldete Übergangsordnung an. Eine darüber hinausgehende Zustimmung
oder Hinwendung zum Staat verlangt das GG nicht.
7b. Aber auch das religiöse Verbot der Teilnahme an staatlichen Wahlen rechtfertigt die
Versagung des Körperschaftsstatus nicht. Die Beschwerdeführerin will nicht die Demokratie
durch eine andere Staatsform ersetzen, sie verfolgt einen apolitischen Lebensentwurf. Ihr
Verhalten gegenüber staatlichen Wahlen ist ein Gesichtspunkt, der zwar bei der gebotenen
typisierenden Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden kann, der aber für sich allein die
Annahme einer Gefährdung der unantastbaren Gehalte des Demokratieprinzips nicht trägt.
7c. Das angegriffene Urteil des BVerwG verletzt GG Art 140 iVm WRV Art 137 Abs 5 S 2. Bei
der den Fachgerichten nunmehr aufgegeben erneuten Prüfung des Verleihensanspruchs wird
insbesondere zu klären sein, ob die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter einer
Verleihung des Körperschaftsstatus entgegenstehen. Im fachgerichtlichen Verfahren ist offen
geblieben, ob die Beschwerdeführerin durch die von ihr empfohlenen Erziehungspraktiken
das Wohl der Kinder beeinträchtigt oder austrittswillige Mitglieder zwangsweise oder mit
vom GG missbilligten Mitteln in der Gemeinschaft festhält und damit dem staatlichen Schutz
anvertraute Grundrechte beeinträchtigt.
Fundstellen
BVerfGE 102, 370-400 (Leitsatz und Gründe)
NJW 2001, 429-433 (Leitsatz und Gründe)
DVBl 2001, 284-289 (Leitsatz und Gründe)
ZevKR 46, 224-225 (2001 (Leitsatz und Gründe)
DVP 2001, 250-251 (red. Leitsatz und Gründe)
KirchE 38, 502-519 (2000) (Leitsatz und Gründe)
weitere Fundstellen
NVwZ 2001, 316 (Leitsatz)
JuS 2001, 496 (Leitsatz)
JA 2001, 641 (Leitsatz)
BayVBl 2001, 720-721 (Leitsatz)
KuR 985, 93 (Leitsatz)
Verfahrensgang
vorgehend BVerwG 7. Senat, 26. Juni 1997, Az: 7 C 11/96, Urteil
nachgehend BVerwG 7. Senat, 17. Mai 2001, Az: 7 C 1/01, Urteil
nachgehend BVerfG 2. Senat, 24. Oktober 2001, Az: 2 BvR 1500/97, Gegenstandswertfestsetzung im
verfassungsgerichtlichen Verfahren
Diese Entscheidung wird zitiert
Rechtsprechung
Vergleiche BFH 2. Senat, 30. Juni 2010, Az: II R 12/09
Vergleiche FG Hamburg 3. Senat, 5. November 2009, Az: 3 K 71/09
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, 22. Januar 2009, Az: 1 K 128/07
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, 22. Januar 2009, Az: 1 K 53/08
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, 22. Januar 2009, Az: 1 K 130/07
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, 22. Januar 2009, Az: 1 K 238/07
Vergleiche Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, 22. Januar 2009, Az: 1 K 285/08
Vergleiche BFH 5. Senat, 27. November 2008, Az: V R 8/07
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 4225/07 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 840/08 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 662/08 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 843/08 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 1674/08 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 3633/07 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 3631/07 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 14. November 2008, Az: 11 K 3180/07 BG
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 5. Februar 2008, Az: 11 V 4226/07 A (BG)
Vergleiche FG Köln 4. Senat, 5. September 2007, Az: 4 V 2092/07
Vergleiche FG Düsseldorf 11. Senat, 28. Juni 2007, Az: 11 V 1910/07 A (BG)
Vergleiche BVerfG 2. Senat, 24. Oktober 2006, Az: 2 BvR 1908/03
Vergleiche BVerfG 1. Senat 2. Kammer, 2. Oktober 2003, Az: 1 BvR 536/03
Vergleiche BVerfG 1. Senat 2. Kammer, 12. August 2002, Az: 1 BvR 1044/93
Vergleiche BVerfG 1. Senat, 26. Juni 2002, Az: 1 BvR 670/91
Vergleiche BVerfG 2. Senat 3. Kammer, 26. März 2001, Az: 2 BvR 943/99
Verwaltungsvorschriften
Vergleiche VV NW OFD Münster 2001-02-01 S 2729-120-St 13-31
Vergleiche VV SL FinMin 2001-03-01 B/3-62/2001-S 0171
Vergleiche VV ST OFD Magdeburg 2001-03-19 S 0171-102-St 217
Literaturnachweise
Werner Neumann, jurisPR-BVerwG 13/2008 Anm. 5 (Anmerkung)
Werner Neumann, jurisPR-BVerwG 12/2009 Anm. 4 (Anmerkung)
Ino Augsberg, Der Staat 48, 239-258 (Aufsatz)
Horst Sendler, DVBl 2004, 8-16 (Aufsatz)
Marion Petri, JA 2001, 641-644 (Entscheidungsbesprechung)
Stefan Muckel, Jura 2001, 456-462 (Entscheidungsbesprechung)
Michael Sachs, JuS 2001, 496-498 (Entscheidungsbesprechung)
Reiner Tillmanns, Kirche und Recht im sozialen Rechtsstaat 2003, 919-943 (Festschriftenbeitrag)
Ralf Poscher, NJ 2001, 364 (Anmerkung)
Horst Sendler, NJW 2002, 2611-2613 (Aufsatz)
Heinrich Wilms, NJW 2003, 1083-1090 (Entscheidungsbesprechung)
Christian Hillgruber, NVwZ 2001, 1347-1355 (Entscheidungsbesprechung)
Helmut Goerlich, NVwZ 2001, 1369-1371 (Entscheidungsbesprechung)
Axel von Campenhausen, ZevKR 46, 165-202 (2001) (Entscheidungsbesprechung)
Janbernd Oebbecke, ZfP 2008, 49-63 (Aufsatz)
Praxisreporte
Werner Neumann, jurisPR-BVerwG 13/2008 Anm. 5 (Anmerkung)
Werner Neumann, jurisPR-BVerwG 12/2009 Anm. 4 (Anmerkung)
Kommentare
Bachmann in: jurisPK-BGB, 5. Aufl. 2010, § 89 BGB
Diese Entscheidung zitiert
Rechtsprechung
Vergleiche BVerfG 1. Senat, 16. Mai 1995, Az: 1 BvR 1087/91
Vergleiche BVerfG 2. Senat, 13. Dezember 1983, Az: 2 BvL 13/82
Tenor
1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 11.96 – verletzt
die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit
Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Es wird
aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Gründe
A.
1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Voraussetzungen, unter denen eine
Religionsgemeinschaft nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 der Verfassung vom 11.
August 1919 (Weimarer Reichsverfassung, im Folgenden: WRV) den Status einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts erlangen kann.
I.
2 1. Art. 140 GG erklärt die Art. 136 bis 139 und 141 WRV zu Bestandteilen des Grundgesetzes.
Nach Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV behalten die Religionsgesellschaften, die bereits vor Erlass
der Weimarer Reichsverfassung Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, diesen Status.
Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV bestimmt, dass anderen Religionsgesellschaften dieser Status auf
ihren Antrag hin zu verleihen ist, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder
die Gewähr der Dauer bieten.
3 2. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vermittelt eine Reihe öffentlichrechtlicher
Befugnisse.
4 Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV sind die korporierten Religionsgemeinschaften
berechtigt, von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben. Die Organisationsgewalt gibt ihnen die
Befugnis, öffentlich-rechtliche Untergliederungen und andere Institutionen mit Rechtsfähigkeit
zu bilden.
5 Aufgrund ihrer Dienstherrenfähigkeit können sie öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse
begründen. Sie können eigenes Recht setzen und durch Widmung kirchliche öffentliche Sachen
schaffen. Das Parochialrecht gibt der Religionsgemeinschaft die Befugnis, die Zugehörigkeit
eines Mitglieds zu einer Gemeinde allein von der Wohnsitznahme abhängig zu machen.
6 Der Gesetzgeber hat mit dem Körperschaftsstatus für Religionsgemeinschaften eine
Vielzahl von Einzelbegünstigungen verbunden (sog. „Privilegienbündel“). Zu ihnen gehören
beispielsweise steuerliche Begünstigungen (§ 54 AO, § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG, § 3 Abs. 1 Nr. 4
GrStG, § 2 Abs. 3 und § 4 a UStG), der Vollstreckungsschutz nach § 882 a ZPO und § 17 VwVG,
die in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 6 BauGB angeordnete bauplanungsrechtliche Rücksichtnahme auf
die Erfordernisse der korporierten Religionsgemeinschaften, die institutionelle Absicherung der
Zusammenarbeit der Sozialhilfeträger mit den korporierten Religionsgemeinschaften in § 10
BSHG und ihre Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe durch § 75 Abs. 3 SGB VIII.
7 3. Neben den nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV geborenen Körperschaften
haben viele, auch kleinere, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften den
Korporationsstatus nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV erworben. Zu
ihnen gehören etwa die Alt-Katholische Kirche, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher
Gemeinden (Baptisten), der Bund freier evangelischer Gemeinden, der Bund freikirchlicher
Pfingstgemeinden, der Bund freireligiöser Gemeinden, der Bund für Geistesfreiheit in Bayern,
die Christengemeinschaft, die Christliche Wissenschaft, die Dänische Seemannskirche in
Hamburg, die Deutschen Unitarier, die Europäisch-Festländische Brüder- Unität (Herrnhuter
Brüdergemeinde), die Evangelisch-Bischöfliche Gemeinde in Hamburg, die Evangelisch-
Methodistische Kirche, die Französische Kirche zu Berlin (Hugenottenkirche), die Freigeistige
Landesgemeinschaft Nordrhein-Westfalen, die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten,
die Heilsarmee in Deutschland, die Johannische Kirche in Berlin, die Kirche Jesu Christi der
Heiligen der letzten Tage (Mormonen), die Neuapostolische Kirche, die Russisch-Orthodoxe
Kirche (Moskauer Patriarchat), die Russisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, die
Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden oder die Wallonisch-Niederländische Gemeinde Hanau.
II.
8 1. a) Die Zeugen Jehovas sind – zunächst unter der Bezeichnung „Bibelforscher“ – seit Ende
des 19. Jahrhunderts in Deutschland aktiv. Als „Internationale Bibelforscher-Vereinigung“
wurde die Gemeinschaft 1927 als Verein im Vereinsregister des Amtsgerichts Magdeburg
eingetragen. Unter dem Nationalsozialismus wurden die Zeugen Jehovas verfolgt und verboten;
die Eintragung wurde gelöscht. 1945 erfolgte eine vereinsrechtliche Neugründung mit
Eintragung wiederum beim Amtsgericht Magdeburg. 1950 wurde dieser Verein erneut, nun
durch das Innenministerium der DDR, verboten. Daraufhin konstituierte sich die Gemeinschaft
für den Bereich der damaligen Bundesrepublik unter dem Namen „Wachtturm Bibel- und
Traktatgesellschaft, Deutscher Zweig e. V.“ mit Sitz in Selters/ Taunus.
9 b) Beschwerdeführerin ist die „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland
e. V.“. Sie hat ihren Sitz in Berlin und ist aus der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas
in der DDR hervorgegangen. Diesen, den „Zeugen Jehovas in der DDR“, hat der Ministerrat
der DDR, Amt für Kirchenfragen, auf Antrag mit Urkunde vom 14. März 1990 die „staatliche
Anerkennung“ ausgesprochen.
10 c) Im Laufe des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens haben die Zeugen Jehovas ihre rechtliche
Organisation in Deutschland verändert. Der Tätigkeitsbereich der Beschwerdeführerin wurde
auf ganz Deutschland erweitert und diese am 14. Oktober 1999 in das Vereinsregister
beim Amtsgericht Charlottenburg in Berlin eingetragen. Sie ist nunmehr die geistliche
aufsichtsführende Körperschaft aller Zeugen Jehovas in Deutschland.
11 2. a) Mit Schreiben vom 23. Oktober 1990 bat die Beschwerdeführerin den Magistrat und
Senat von Berlin um Bestätigung ihrer Rechtsstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts
und verwies auf die Urkunde des Ministerrats der DDR vom 14. März 1990. Am 8. April 1991
beantragte sie zudem vorsorglich die Verleihung der Körperschaftsrechte gemäß Art. 140 GG i.
V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV.
12 b) Mit Bescheid vom 20. April 1993 hat das Land Berlin, Senatsverwaltung für Kulturelle
Angelegenheiten, die Anträge abgewiesen. Die vom Ministerrat der DDR ausgesprochene
Anerkennung sei keine Verleihung des Körperschaftsstatus gewesen. Ein Anspruch auf
Verleihung der Körperschaftsrechte nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV
bestehe nicht. Dieser Anspruch setze ein positives, zumindest nicht distanziert- ablehnendes,
Grundverhältnis der Beschwerdeführerin zum Staat voraus. Außerdem müsse sie die zum
Kernbestand des Grundgesetzes zählenden Normen des Demokratie- und des Toleranzprinzips
bejahen.
13 Zu beobachten sei bereits ein strukturell negatives Grundverständnis gegenüber dem Staat.
Auch gebe es Zweifel hinsichtlich des Toleranzgebots. So werde, geleitet von einem religiösen
Ausschließlichkeitsanspruch im Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften, jede Form des
Miteinanders abgelehnt.
14 Entscheidend sei, dass die Beschwerdeführerin das aktive wie das passive Wahlrecht ablehne
und lediglich die Mitgliedschaft in Berufsvertretungen zulasse. Auch habe offenbar keines ihrer
Mitglieder Sitz und Stimme in einem Kommunal- oder Landesparlament. Die Teilnahme an der
politischen Willensbildung durch Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts gehöre aber
zu den elementaren Prinzipien der demokratischen Grundordnung. Die generelle Ablehnung
einer Mitwirkung am Prozess der politischen Willensbildung sei nicht mit dem Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts vereinbar.
15 3. a) Mit ihrer Klage zum Verwaltungsgericht Berlin beantragte die Beschwerdeführerin
festzustellen, dass sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei, hilfsweise, das Land Berlin
zu verpflichten, ihr die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen.
16 b) Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Urteil vom 25. Oktober 1993 (NVwZ 1994, S. 609 ff.)
den Hauptantrag abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben.
17 Die Voraussetzungen für eine Verleihung der Korporationsrechte gemäß Art. 140 GG i. V.
m. Art. 137 Abs. 5 WRV seien gegeben. Die Beschwerdeführerin erfülle alle Merkmale einer
Religionsgemeinschaft. Die Dauerhaftigkeit ihrer Existenz sei unzweifelhaft.
18 Ebenso sei die weitere, ungeschriebene, Verleihensvoraussetzung der „Rechtstreue“ bzw.
der „uneingeschränkten Achtung der Rechtsordnung“ erfüllt. Anhaltspunkte dafür, dass die
Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihrer Rechtsstellung als Körperschaft im außerkirchlichen
Bereich nicht die Gewähr der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen biete oder dem Staat aktiven
Widerstand leisten werde – was allein die Versagung der Verleihung von Körperschaftsrechten
begründen könne -, seien nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich. Angesichts des Umstands,
dass die Beschwerdeführerin als mitgliederstarke Religionsgemeinschaft jahrzehntelang –
mit Ausnahme von Verboten und Verfolgungen während der nationalsozialistischen und der
kommunistischen Gewaltherrschaft – in der demokratischen Gesellschaft unbeanstandet
tätig sei, müsse man davon ausgehen, dass es verfassungsfeindliche Bestrebungen und
gesetzeswidrige Verhaltensweisen nicht gebe.
19 Die Annahme, eine Religionsgemeinschaft mit Korporationsstatus müsse in Bezug auf das
Toleranz- und das Demokratiegebot ein Mindestmaß an Bejahung erkennen lassen, verkenne
die Besonderheit des Körperschaftsbegriffs i. S. d. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV.
Dieser sei nicht im allgemeinen staatsorganisationsrechtlichen Sinn zu verstehen. Er sei
lediglich ein Hilfsbegriff, der die Zuerkennung eines öffentlichen, besonderen, nicht-staatlichen
Status und damit die herausgehobene gesellschaftliche Bedeutung bestimmter Kirchen und
Religionsgemeinschaften unterstreichen solle.
20 Ihre Einstellung zum Staat und zu staatlichen Wahlen könne der Beschwerdeführerin nicht
entgegen gehalten werden.
21 Sie beruhe auf religiösen Überzeugungen, die zu bewerten dem Staat auch dann versagt sei,
wenn ihre Auswirkungen in den öffentlichen Bereich hineinwirkten. Die Beschwerdeführerin
überschreite auch die der Religionsfreiheit gezogenen Grenzen nicht, weil es jedem Mitglied
freistehe, sein Recht zur Teilnahme an der politischen Willensbildung dennoch wahrzunehmen.
22 Auch die an das Toleranzgebot anknüpfende Begründung, die Beschwerdeführerin lehne
im Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften jede Form des Miteinanders ab,
verkenne Bedeutung und Tragweite des Art. 4 GG. Anders als der Staat seien Kirchen und
Religionsgemeinschaften nicht zur Toleranz verpflichtet. Auch bestünde keine Pflicht zur
Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften.
23 Ob die Beschwerdeführerin organisatorisch eine „demokratische Binnenstruktur“ habe, sei
unbeachtlich. Die innere Organisation einer Religionsgemeinschaft entspringe dem kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht. Der Einfluss der Religionsgemeinschaft auf ihre Mitglieder unterliege
ebenfalls ihrer autonomen Gestaltung, sofern gewährleistet sei, dass die Zugehörigkeit zur
Glaubensgemeinschaft auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhe. Anhaltspunkte dafür, dass die
Beschwerdeführerin dieses Gebot der Freiwilligkeit missachte, seien weder vorgetragen noch
ersichtlich.
24 4. Mit Urteil vom 14. Dezember 1995 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin (NVwZ 1996, S.
478 ff.) die Berufungen der Beschwerdeführerin und des Landes Berlin zurückgewiesen. Die
Beschwerdeführerin besitze den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht, könne
aber dessen Verleihung durch das Land Berlin beanspruchen.
25 Die seit nahezu 100 Jahren auf vereinsrechtlicher Basis tätigen Zeugen Jehovas böten
sowohl nach ihren Statuten und ihren Vermögensverhältnissen als auch nach der Zahl
ihrer Mitglieder die erforderliche Gewähr der Dauer. Die ungeschriebene Voraussetzung
der „Rechtstreue“ sei ebenfalls erfüllt. Dass die Beschwerdeführerin bei der Ausübung ihr
zuerkannter Körperschaftsrechte nicht die Gewähr der Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen biete
oder dem Staat in kämpferischer Form aktiven Widerstand leisten werde, sei nicht zu erkennen.
26 Darüber hinausgehende Forderungen ließen sich nicht aus dem Begriff oder der Bedeutung des
Körperschaftsstatus i. S. d. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV herleiten. Die Verpflichtung
des Staates zu strikter religiöser und weltanschaulicher Neutralität lasse sich nicht durch einen
Rückgriff auf das Demokratieprinzip in Frage stellen. Die Vorwürfe, mit denen die Versagung
der Körperschaftsrechte begründet würden, beträfen im Wesentlichen Verhaltensweisen,
die nach dem Selbstverständnis der Beschwerdeführerin ihrem elementaren geistigreligiösen
Auftrag entsprächen, im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren
Rechtswirkungen entfalteten und sich staatlicher Bewertung deshalb von vornherein entzögen.
Der Appell zur umfassenden Wahlenthaltung beruhe auf dem religiösen Selbstverständnis
der Beschwerdeführerin und sei nicht von der Zielsetzung getragen, das staatliche
Demokratieprinzip als solches in Frage zu stellen oder zu beseitigen.
27 5. Auf die wegen des Hilfsantrags zugelassene Revision des Landes Berlin hat das
Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Juni 1997 (BVerwGE 105, 117 ff.) die Urteile des
Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben, soweit sie das Land Berlin
verpflichteten, der Beschwerdeführerin die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen
Rechts im Land Berlin zu verleihen, und die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen.
28 a) Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Anerkennung die ihr
zuerkannten Hoheitsrechte nicht im Einklang mit dem einschlägigen Recht ausüben würde,
seien nicht zu sehen.
29 b) Dem Einwand, die Beschwerdeführerin praktiziere ein Zwangssystem, das der Wertordnung
des Grundgesetzes widerspreche, sei entgegenzuhalten, dass die Verfassung den
Religionsgemeinschaften kein Demokratiemodell vorschreibe.
30 Vielmehr sei auch die Herausbildung hierarchischer oder autoritärer Organisationsstrukturen
verfassungsrechtlich geschützt.
31 c) Ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzung der „Rechtstreue“ erfülle, ob insbesondere die
weiteren Vorwürfe – sie halte austrittswillige Mitglieder zwangsweise oder sonst mit unlauteren
Mitteln in ihrer Gemeinschaft fest und beeinträchtige durch ihre Erziehungsgrundsätze
und -praktiken das Kindeswohl – berechtigt seien, könne dahinstehen, weil der Anspruch
auf Verleihung der Korporationsrechte an einem anderen, durch den Sinn und Zweck des
Korporationsstatus vorgegebenen, Grund scheitere:
32 d) Von einer Religionsgemeinschaft, die mit ihrem Antrag auf Verleihung der Korporationsrechte
die Nähe zum Staat suche und dessen spezifische rechtliche Gestaltungsformen und
Machtmittel für ihre Zwecke in Anspruch nehmen wolle, könne erwartet werden, dass sie die
Grundlagen der staatlichen Existenz nicht prinzipiell in Frage stelle. Die Gemeinschaft sei
dem Staatswesen gegenüber zwar grundsätzlich positiv eingestellt, lehne aber prinzipiell
die Teilnahme an staatlichen Wahlen ab. Diese Ablehnung sei – ebenso wie die Ablehnung
des Wehr- und des Ersatzdienstes – Ausdruck eines strikt zu befolgenden Glaubensgebots.
Ein Zeuge Jehovas, der auf der Teilnahme an staatlichen Wahlen beharre, könne nicht in der
Glaubensgemeinschaft verbleiben.
33 Mit dem Verbot der Wahlteilnahme und dem entsprechenden Verhalten ihrer Mitglieder setze
sich die Beschwerdeführerin in einen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Widerspruch zu
dem für die staatliche Ordnung im Bund und in den Ländern konstitutiven Demokratieprinzip,
das zum unantastbaren Kernbestand der Verfassung gehöre. In dem Umfang, in dem die
Beschwerdeführerin auf das Wahlverhalten der Bürger Einfluss nehme oder künftig gewinne,
schwäche sie die Legitimationsbasis, auf die der Staat für die Ausübung der Staatsgewalt –
einschließlich der Übertragung dieser Gewalt an Private – angewiesen sei.
34 Der Einwand, in der Bundesrepublik Deutschland bestehe keine Rechtspflicht zur Beteiligung an
Parlamentswahlen, verfange nicht. Die Verfassung erlege allen Bürgern die Verantwortung auf,
ihr Recht auch tatsächlich auszuüben.
35 Auch verkenne die Beschwerdeführerin die Bedeutung des Art. 4 GG, wenn sie vortrage,
ihre Einstellung zu den Wahlen sei unmittelbarer Ausfluss ihrer grundrechtlich geschützten
Religionsfreiheit und dürfe daher nicht mit Rechtsfolgen zu ihren Lasten verknüpft werden.
Der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Freiraum bleibe einer Religionsgemeinschaft
nämlich uneingeschränkt erhalten, gleichgültig ob sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts
anerkannt sei oder nicht.
III.
36 Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1
und Abs. 3, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG i. V. m. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV.
37 1. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Sie könne zwar nicht unmittelbar auf die Verletzung
des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV gestützt werden. Die Beschwerdeführerin
könne aber eine Verletzung von Art. 4 GG rügen. Die Verleihung der Rechtsform sei eine
besondere Form der „staatlichen Grundrechtssubventionierung“, die in gleicher Weise
allen Religionsgemeinschaften, die Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG seien, zugute
kommen müsse. Es gehöre zum Schutz der religiösen Vereinigungsfreiheit, dass eine
Religionsgemeinschaft, wenn sie die Verleihensvoraussetzungen erfülle, frei unter den
angebotenen Organisationsformen wählen könne. Im Übrigen sei auch Art. 3 Abs. 1 GG in
seiner Ausprägung als striktes Paritätsgebot verletzt.
38 2. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet.
39 a) Die Beschwerdeführerin erfülle alle ausdrücklich in der Verfassung genannten
Verleihensvoraussetzungen. Ihre eschatologische Ausrichtung stelle die Gewähr der Dauer
angesichts eines mehr als ein Jahrhundert währenden Bestands nicht in Frage. Im Übrigen gehe
die Beschwerdeführerin nach ihrem Selbstverständnis davon aus, dass sie das Ende der Welt
überdauern werde. Eine vorgängige Bewährung als eingetragener
40 Verein dürfe nicht verlangt werden. Im Übrigen habe sich die Beschwerdeführerin – abgesehen
von den Verbotsperioden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des DDRUnrechtssystems
– als privater Verein bewährt. Auf diese Frage komme es außerdem nicht mehr
an, nachdem sich die Beschwerdeführerin in das Vereinsregister habe eintragen lassen.
41 b) Die rechtsschöpferische Konstruktion des Bundesverwaltungsgerichts, über die Anforderung
der „Rechtstreue“ hinaus eine weitere ungeschriebene Verleihensvoraussetzung zu entwickeln
und eine besondere „Staatsloyalität“ zu fordern, sei von der Verfassung nicht gedeckt.
Zwar werde vertreten, dass zu den Voraussetzungen eines Korporationsstatus nicht nur
„Rechtstreue“, sondern auch „Hoheitsfähigkeit“, „Anerkennungswürdigkeit“ oder „Dignität“
gehörten. Bei genauerer Betrachtung sehe man jedoch, dass diese Begriffe lediglich eine
andere Umschreibung des Erfordernisses der „Rechtstreue“ seien. Wollte man sie für ein
zusätzliches materielles Kriterium halten, so liefe dies auf eine unzulässige Qualitätsprüfung
hinaus. Dann würden nämlich inhaltlich-qualitative Anforderungen an die innere Ordnung
und an das Bekenntnis der Gemeinschaft eingeführt. Eine solche Qualitätsprüfung sei
bereits unter dem Gesichtspunkt der Statusgleichheit aller Religionsgemeinschaften
unzulässig. Das Prinzip strikter Parität werde unterlaufen, wenn mit Hilfe einer zusätzlichen,
ungeschriebenen, Verleihensvoraussetzung inhaltliche, bekenntnisgebundene, Gesichtspunkte
als Abgrenzungskriterien herangezogen würden.
42 Im Übrigen würde die Beschwerdeführerin auch solche Voraussetzungen erfüllen.
Ihr Staatsverständnis, das sich nicht grundlegend von dem anderer christlicher
Religionsgemeinschaften, insbesondere dem der großen Kirchen, unterscheide, lasse eine
grundsätzliche Akzeptanz der verfassungsrechtlichen Grundordnung erkennen.
43 c) Mit dem neu entwickelten Kriterium der „Staatsloyalität“ verlange das
Bundesverwaltungsgericht nicht nur ein grundsätzlich positives Staatsverständnis und die
vorbehaltlose Hinnahme der Ergebnisse des demokratischen Prozesses, sondern darüber hinaus
die Bejahung aktiver Teilnahme am demokratischen Prozess. Dies schaffe ein Zwei-Klassen-
System von Verfassungsreligionsgemeinschaften und Religionsgemeinschaften minderen
Status, welches die Legitimation des gesamten Staatskirchenrechts in Frage stellen könne.
Der Korporationsstatus aber begründe nicht eine besondere „Nähe zum Staat“, sondern sei
Ausdruck staatlicher Grundrechtsförderung. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV enthalte
zudem eine strikte Paritätsentscheidung. Diese sei im Zusammenhang mit Art. 140 GG i. V. m.
Art. 137 Abs. 1 WRV zu sehen. Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts seien keine
Quasi- Staatskirchen. Die Verleihung des Körperschaftsstatus dürfe deswegen nicht von einer
spezifischen Bindung an den Staat abhängig gemacht werden.
44 Die Ablehnung, an Wahlen teilzunehmen, sei im Übrigen nicht Ausdruck mangelnder
Loyalität. Da es im Geltungsbereich des Grundgesetzes keine Rechtspflicht zur Beteiligung
an Wahlen gebe, bedeute die Verknüpfung des Demokratieprinzips mit dem Gesichtspunkt
der „Staatsloyalität“ eine unzulässige Umdeutung des Demokratieprinzips: von einem
Strukturprinzip der staatlichen Ordnung in eine an die Gesellschaft gerichtete Forderung auf
Partizipation.
45 Soweit die Entscheidung, sich nicht an staatlichen Wahlen zu beteiligen, religiös motiviert sei,
sei nicht nur die Propagierung dieser Glaubensüberzeugung, sondern auch deren Praktizierung
speziell, nämlich durch Art. 4 GG i. V. m. dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 137
Abs. 3 WRV), geschützt. Die Praktizierung dieser Glaubensüberzeugung dokumentiere nicht,
dass die Grundlagen staatlicher Existenz prinzipiell in Frage gestellt würden. Wie die Schriften
der Zeugen Jehovas belegten, bedeute ihr Verständnis von religiöser Neutralität – mit der
Konsequenz der Nichtteilnahme an Wahlen – nicht, dass sie die Wahlen als Grundlage des
demokratischen Staates in Zweifel zögen. Die Zeugen Jehovas akzeptierten vielmehr die
Ergebnisse demokratischer Wahlen als Grundlage einer staatlichen Obrigkeit, die auch im
Lichte ihrer Religion legitim sei.
46 Im Übrigen weise das Verständnis der Zeugen Jehovas deutliche Parallelen zur protestantischen
Glaubensüberzeugung auf. Auch die Haltung der katholischen Kirche, die Inkompatibilitäten
hinsichtlich politischer Ämter normiere, sei nur graduell, nicht aber grundsätzlich anders als die
Auffassung der Zeugen Jehovas. Man müsse auch beachten, dass die von den Zeugen Jehovas
praktizierte „gewisse Weltabkehr“ und Zurückhaltung gegenüber jedem Staat die Gemeinschaft
vor jeder Verstrickung, insbesondere in die zwei Gewaltherrschaften der jüngeren deutschen
Vergangenheit, bewahrt und ihnen zugleich vielfältige Verfolgung eingetragen habe.
IV.
47 Das Bundesverfassungsgericht hat den Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben.
48 1. Die Bayerische Staatsregierung hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas stelle sich in Widerspruch zur Werteordnung des
Grundgesetzes, wenn sie ihre Glaubensmitglieder daran hindere, als mündige Bürger in einem
demokratischen Rechtsstaat ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen; ihre Lehre sei von
Absolutheitsdenken geprägt und wirke im Gemeinschaftsleben massiv auf einzelne Mitglieder
ein.
49 2. Der Senat von Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und
Kultur, hat seinen
50 Beitritt zum Verfahren erklärt, einen Beschluss der Landesregierung über den Beitritt allerdings
trotz Hinweises nicht vorgetragen. Der Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur ist dem
Verfahren ebenfalls beigetreten. Sie tragen vor:
51 a) Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Die staatskirchenrechtlichen Normen seien
keine Grundrechte, und dies könne auch nicht durch einen Rückgriff auf Art. 3 bzw. Art. 4 GG
kompensiert werden.
52 b) Die Verfassungsbeschwerde sei auch unbegründet.
53 Der Beschwerdeführerin fehle es an der Fähigkeit zur dauerhaften Kooperation mit dem Staat,
weil sie nach ihrem Selbstverständnis nicht auf längere Dauer angelegt sei; sie erwarte nämlich
zu einem bestimmbaren, in näherer Zukunft liegenden, Zeitpunkt den Weltuntergang. Der
Korporationsstatus setze zudem Erfahrungen und Bewährungen auf der vorangegangenen
Rechtsstufe des eingetragenen Vereins voraus. Dies fehle der Beschwerdeführerin.
54 Es sei ein unüberbrückbarer Wertungswiderspruch, wenn einerseits die Beschwerdeführerin
aufgrund staatlicher Privilegierung den Korporationsstatus erlange, andererseits der sie
privilegierende Staat selbst mit Recht vor eben dieser Körperschaft warnen dürfe. Im Hinblick
auf schwerwiegende Verletzungen im Bereich sozialrechtlicher Schutz- und Fürsorgepflichten,
angesichts der grundlegenden Verstöße gegen das Datenschutzrecht sowie die sanktionierte
Fremdbestimmung von höchstpersönlichen Gewissensentscheidungen sei dies der Fall.
55 Der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Zeugen Jehovas achteten den Staat,
müsse man widersprechen. Es sei höchst widersprüchlich, einem Staat gänzlich indifferent
gegenüberzustehen, ihn als „Werkzeug des Satans“ zu begreifen und zugleich von ihm
Privilegien zu beanspruchen. Der Begriff „Loyalität“ sei möglicherweise nicht glücklich gewählt.
In der Sache aber fordere das Bundesverwaltungsgericht keineswegs die Angleichung von
Strukturen und Aufgaben oder die Preisgabe von Glaubensinhalten.
56 Zur Wahrung seiner Legitimationsbasis und Glaubhaftigkeit dürfe der Staat eine
Religionsgemeinschaft, die ihm die demokratische Legitimation verweigere, nicht
durch Verleihung staatlicher Machtbefugnisse fördern. Dieses Argument mache den
Körperschaftsstatus nicht zur Prämie für Staatsnähe.
57 Es gehe vielmehr um den Schutz elementarer Grundsätze. Der Körperschaftsstatus sei zu
versagen, wenn eine Religionsgemeinschaft grundlegende Verfassungsnormen wie etwa das
Demokratieprinzip nachhaltig verletze.
58 3. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Äußerung des 7. Senats vorgelegt, wonach ein
anderes Verfahren mit vergleichbarer Problematik nicht anhängig sei.
59 4. Für die Bundesregierung hat das Bundesministerium des Innern Stellung genommen.
Im Wahlverbot der Beschwerdeführerin zeige sich die Ablehnung des Staates und seiner
demokratischen Willensbildung. Das berühre die Lebensprinzipien des freiheitlichen
Verfassungsstaates.
B.
I.
60 Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin befugt, die
Verfassungsbeschwerde zu erheben.
61 1. Als eine Vereinigung, die sich die Pflege und Förderung eines religiösen Bekenntnisses
und die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder zum Zweck gesetzt hat, ist die
Beschwerdeführerin Trägerin des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2
GG. Die Grundrechtsträgerschaft ist unabhängig von dem Erwerb der Rechtsfähigkeit als
eingetragener Verein des Privatrechts (vgl. BVerfGE 24, 236 <247>; 99, 100 <118>), der erst
im Laufe dieses Verfahrens erfolgt ist.
62 2. Eine Verletzung der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Religionsfreiheit ist
möglich. Aus der Religionsfreiheit folgt auch der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber
den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen (BVerfGE 93, 1 <16>). Es ist nicht
ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Erfordernis einer Loyalität
gegenüber dem Staat nicht allein Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV unrichtig ausgelegt
und angewendet, sondern zugleich zum Nachteil der Beschwerdeführerin die Grenzen
überschritten hat, die dem Staat bei der Bewertung religiöser Lebensäußerungen durch das
Gebot der Neutralität gezogen sind.
II.
63 Der Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur ist dem Verfahren nach § 94 Abs. 5 Satz 1
BVerfGG i. V. m. § 94 Abs. 2 BVerfGG wirksam beigetreten. Der Beitritt des Senats von Berlin ist
dagegen unwirksam. Der Beitritt eines kollegialen Verfassungsorgans zu einem Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht setzt einen Beschluss des Kollegialorgans voraus (BVerfGE 7,
282 ). Ein solcher Beschluss ist trotz Hinweises nicht vorgetragen worden.
C.
64 Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsmäßigen
Recht aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV.
I.
65 Bei der Beurteilung einer zulässigen Verfassungsbeschwerde ist das Bundesverfassungsgericht
nicht darauf beschränkt zu prüfen, ob die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 BVerfGG
aufgeführten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte verletzt sind. Die angegriffene
Entscheidung kann vielmehr unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt auf
ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit hin geprüft werden (stRspr; vgl. BVerfGE 99,
100 <119>). Den verfassungsrechtlichen Maßstab für die Prüfung des Anspruchs einer
Religionsgemeinschaft auf Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts
enthält Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV.
II.
66 1. Als geschriebene Voraussetzung für die Verleihung des Status einer Körperschaft des
öffentlichen Rechts verlangt Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV die „Gewähr der
Dauer“. Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss
durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die prognostische Einschätzung stützen,
dass sie auch in Zukunft dauerhaft bestehen wird. Grundlage für diese Einschätzung sind der
gegenwärtige Mitgliederbestand der Religionsgemeinschaft und ihre Verfassung im Übrigen.
67 Dabei bezeichnet der Begriff der Verfassung mehr als eine den Erfordernissen des
Rechtsverkehrs genügende rechtliche Satzung. „Verfassung“ im Kontext des Art. 140 GG i.
V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV meint auch den tatsächlichen Zustand einer Gemeinschaft,
ihre Verfasstheit (allg. Meinung, vgl. etwa A. Frhr. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/
Klein/v. Campenhausen, GG, Bd. 14, 3. Aufl. 1991, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 150;
D. Ehlers, in: Sachs, GG, 2. Aufl. 1999, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 20; H. Weber, Die
Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften, ZevKR 34 <1989>, S.
337, 350). Denn der tatsächliche Gesamtzustand einer Religionsgemeinschaft kann eine
aussagekräftige Grundlage für die Einschätzung des künftigen Fortbestehens bieten, um das
es nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV vor allem geht. Nach dem Willen der
Weimarer Nationalversammlung sollte diese Einschätzung nicht auf ein zufälliges, äußeres
Kriterium, sondern auf das „tiefere Moment des Inhalts ihrer Verfassung“ gestützt sein (vgl.
Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 329, S. 2159).
68 Für die Einschätzung dauerhaften Bestands ist also neben dem Kriterium der Mitgliederzahl
der tatsächliche Gesamtzustand der Gemeinschaft zu würdigen. Dafür wurden weitere Indizien
benannt: eine ausreichende Finanzausstattung, eine Mindestbestandszeit und die Intensität
des religiösen Lebens (vgl. BVerfGE 66, 1 <24>; OVG Berlin, OVGE 10, 105 <108 ff.>, und
NVwZ 1996, S. 478, 480; VG München, ZevKR 29 <1984>, S. 628, 630 ff.). Derartige Indizien
sind hilfreich, wenn sie nicht schematisch angewendet werden und die von Art. 140 GG i. V.
m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV geforderte Gesamteinschätzung nicht stören. Zudem dürfen
nicht Umstände in die Beurteilung einfließen, deren Bewertung dem religiös-weltanschaulich
neutralen Staat verwehrt ist.
69 2. Auf dieser Grundlage weckt das Vorbringen des Landes Berlin keine Zweifel an der
fachgerichtlichen Einschätzung, die Beschwerdeführerin biete die Gewähr der Dauer.
70 a) Eine förmliche Voraussetzung des Inhalts, dass sich eine Religionsgemeinschaft, die
den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erstrebt, zunächst als eingetragener
Verein zu bewähren habe, folgt aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV nicht.
Der Körperschaftsstatus kann durchaus eine angemessene Rechtsform auch für solche
Religionsgemeinschaften sein, die den Status eines eingetragenen Vereins nicht erlangen
können oder wollen, etwa weil ihre innere Struktur und Organisation, wie sie von ihrem
religiösen Selbstverständnis gefordert sind, mit Vorgaben des Vereinsrechts in Konflikt liegen
(vgl. BVerfGE 83, 341 <356 f.>).
71 Dass eine Religionsgemeinschaft, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts werden
will, noch nicht als eingetragener Verein organisiert ist, kann bei der gebotenen
Gesamteinschätzung künftigen Fortbestands nicht mehr als ein Indiz neben anderen sein. Im
Fall der Beschwerdeführerin ist dieser Umstand nicht geeignet, die positive fachgerichtliche
Einschätzung in Frage zu stellen.
72 b) Auch der eschatologische Glaube der Beschwerdeführerin steht einer positiven Einschätzung
der Gewähr der Dauer nicht entgegen. Ohnehin wäre es dem religiös-weltanschaulich neutralen
Staat verwehrt, die Beschwerdeführerin gleichsam beim Wort zu nehmen und ihren dauerhaften
Bestand wegen des nach ihrem Glauben bevorstehenden Weltendes zu verneinen. Staatlicher
Beurteilung zugänglich wäre allein die Frage, ob es einer Religionsgemeinschaft tatsächlich
gelingen könnte, ihren zukünftigen Fortbestand auch in dem Fall zu sichern, dass ein konkret
prophezeiter Weltuntergang ausbleibt. Dadurch könnten enttäuschte Mitglieder zum Austritt
veranlasst und so der Fortbestand der Religionsgemeinschaft möglicherweise gefährdet
werden. Der Beschwerdeführerin jedenfalls kann unter diesem Gesichtspunkt die Gewähr
der Dauer nicht abgesprochen werden. Ihr Mitgliederbestand ist unbeeinträchtigt, obwohl
mehrmals ein von ihr konkret berechneter Weltuntergang nicht stattgefunden hat.
III.
73 Für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an eine
Religionsgemeinschaft müssen – im Rahmen der Grundwerte der Verfassung – weitere, in Art.
140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV nicht ausdrücklich genannte, Voraussetzungen
erfüllt sein.
74 1. Art. 140 GG erklärt die Weimarer Kirchenartikel zu Bestandteilen des Grundgesetzes. Ihre
Auslegung hat sich nunmehr von den Wertungen des Grundgesetzes leiten zu lassen (BVerfGE
19, 226 <236>; 53, 366 <400>). Insbesondere sind die Weimarer Kirchenartikel Bestandteil
des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes, welches das Grundrecht der
Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt in den Katalog unmittelbar verbindlicher Grundrechte
übernommen und es so gegenüber der Weimarer Reichsverfassung erheblich verstärkt hat (vgl.
BVerfGE 33, 23 <30 f.>). Die Gewährleistungen der Weimarer Kirchenartikel sind funktional auf
die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt (Art. 4
Abs. 1 und 2 GG; vgl. BVerfGE 42, 312 <322>).
75 2. Im Kontext des Grundgesetzes ist der den Religionsgemeinschaften in Art. 137 Abs. 5 Satz
2 WRV angebotene Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Mittel zur Entfaltung
der Religionsfreiheit (vgl. K. Meyer-Teschendorf, Der Körperschaftsstatus der Kirchen, AöR 103
<1978>, S. 329 ff.; M. Morlok/M. Heinig, Parität im Leistungsstaat – Körperschaftsstatus nur
bei Staatsloyalität?, NVwZ 1999, S. 697, 700 f.). Der Status einer Körperschaft des öffentlichen
Rechts soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften unterstützen.
Die Religionsgemeinschaften mit öffentlich- rechtlichem Status sind in gleichem Umfang
grundrechtsfähig wie Religionsgemeinschaften privat-rechtlicher Rechtsform.
76 Sie stehen dem Staat als Teile der Gesellschaft gegenüber (vgl. BVerfGE 53, 366 <387>;
70, 138 <160 f.>). Dass sie ihre Tätigkeit frei von staatlicher Bevormundung und
Einflussnahme entfalten können, schafft die Voraussetzung und den Rahmen, in dem die
Religionsgemeinschaften das Ihre zu den Grundlagen von Staat und Gesellschaft beitragen
können (vgl. E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation,
in: Säkularisation und Utopie. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart et al. 1967, S. 75,
93; ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof , Handbuch des
Staatsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1995, § 22 Rn. 61 f.).
77 Damit unterscheiden sich die korporierten Religionsgemeinschaften im religiös-weltanschaulich
neutralen Staat des Grundgesetzes, der keine Staatskirche oder Staatsreligion kennt (Art.
140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV), grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen
Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine
Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner
staatlichen Aufsicht (vgl. BVerfGE 18, 385 <386>; 19, 1 <5>; 30, 415 <428>; 42, 312 <332>;
66, 1 <19 f.>).
78 3. Verglichen mit dem Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft im allgemeinen
Verständnis hat dieser Begriff im Regelungszusammenhang des Art. 140 GG i. V. m. Art.
137 Abs. 5 Satz 2 WRV nur die Funktion eines „Mantelbegriffs“ (BVerfGE 83, 341 <357>).
Er ist aber mehr als eine leere Form, weil er den korporierten Religionsgemeinschaften
auch eine besondere Rechtsstellung vermittelt, die über diejenige privatrechtlich verfasster
Religionsgemeinschaften hinausgeht: Mit dem Körperschaftsstatus werden ihnen bestimmte
hoheitliche Befugnisse übertragen, sowohl gegenüber ihren Mitgliedern – etwa beim
Besteuerungsrecht und der Dienstherrenfähigkeit – als auch – bei der Widmungsbefugnis –
gegenüber Anderen.
79 Zudem verschafft ihnen das öffentlich-rechtliche Kleid in der Wahrnehmung der Gesellschaft
eine besondere Stellung (vgl. A. Frhr. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996,
S. 139 ff.; A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof
, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 138 Rn. 130; P. Kirchhof, Die Kirchen
und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: J. Listl/D. Pirson
, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. I, 2. Aufl. 1994, § 22, S. 651 ff.). Diese
Vergünstigungen erleichtern es der Religionsgemeinschaft, ihre Organisation und ihr Wirken
nach den Grundsätzen ihres religiösen Selbstverständnisses zu gestalten und die hierfür
erforderlichen Ressourcen, etwa in Form finanzieller Mittel, zu erlangen.
80 Die Vergünstigungen bewirken mit erhöhten Einflussmöglichkeiten aber auch die erhöhte
Gefahr eines Missbrauchs zum Nachteil der Religionsfreiheit der Mitglieder oder zum Nachteil
anderer Verfassungsgüter. Bei der Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen eine
Religionsgemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangen kann,
muss deswegen auch die Verantwortung des Staates zur Geltung gebracht werden, welche das
Grundgesetz ihm auferlegt. Es gibt ihm die Achtung und den Schutz der Menschenwürde als
des tragenden Konstitutionsprinzips und obersten Grundwerts der freiheitlichen, demokratisch
verfassten Grundordnung auf (Art. 1 Abs. 1 GG, vgl. dazu BVerfGE 96, 375 <398>) und
verpflichtet ihn zur Wahrung und zum Schutz der Grundwerte der Verfassung (vgl. BVerfGE 40,
287 <291 f.>).
81 4. Der Wortlaut des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV schließt nicht aus, dass
der in dieser Gewährleistung eingeräumte Verleihensanspruch weiteren Einschränkungen aus
dem Zusammenhang des Grundgesetzes unterliegt. Der Parlamentarische Rat hatte bei der
Übernahme der Weimarer Kirchenartikel weder die Frage der Verleihensvoraussetzungen im
Blick noch verwandte er seine Aufmerksamkeit darauf, Art. 137 WRV materiell in die Ordnung
des Grundgesetzes einzupassen. Er begnügte sich damit, durch redaktionelle Änderungen
des späteren Art. 4 GG doppelte Gewährleistungen zu vermeiden (ParlR, HA-Prot., 22. Sitzung
vom 8. Dezember 1948, S. 255 – 261; 39. Sitzung vom 14. Januar 1949, S. 483, 489 – 491; 46.
Sitzung vom 20. Januar 1949, S. 599 – 601; 51. Sitzung vom 10. Februar 1949, S. 673, 682; 57.
Sitzung vom 5. Mai 1949, S. 743, 745 f. und 765; Redaktionsausschuss, Kurzprot. vom 28. April
1949, S. 1; vgl. auch BVerfGE 83, 341 <354 f.> zur religiösen Vereinigungsfreiheit).
82 Dass es mit den geschriebenen Verleihensvoraussetzungen nicht sein Bewenden haben
kann, wird im Ergebnis auch in Rechtsprechung und Literatur nicht bezweifelt. Nach nahezu
einhelliger Auffassung ist der Körperschaftsstatus jedenfalls dann zu versagen, wenn die
Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen eine private Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG zu
verbieten wäre (vgl. etwa BVerwGE 105, 117 <121 f.>; OVG Berlin, NVwZ 1996, S. 478, 480; VG
Berlin, NVwZ 1994, S. 609; St. Korioth, Loyalität im Staatskirchenrecht?, in: Gedächtnisschrift
für Bernd Jeand’Heur, 1999, S. 221, 236; M. Morlok/M. Heinig, Parität im Leistungsstaat –
Körperschaftsstatus nur bei Staatsloyalität?, NVwZ 1999, S. 697, 703 f.; G. Robbers, Sinn und
Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, in: Festschrift für Martin Heckel, 1999, S.
411, 414; H. Weber, Die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften, ZevKR
34 <1989>, S. 337, 356). Es wäre auch nicht einsichtig, dass Vereinigungen, die Körperschaften
des öffentlichen Rechts sind, insoweit weniger festen Bindungen unterliegen sollten als private
Vereinigungen.
83 5. Die Grenzen, innerhalb deren eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen
Rechts frei handeln darf, zieht die Verfassung gerade auch durch ihre grundlegenden
Wertentscheidungen. Zu diesen Wertentscheidungen gehören die Religionsfreiheit, aus der Art.
140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV als Verstärkung der Entfaltung grundrechtlicher Freiheit
letztlich seine Rechtfertigung bezieht, das Verbot jeglicher Staatskirche oder Staatsreligion
(Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV) sowie die Grundsätze der religiös-weltanschaulichen
Neutralität des Staates und der Parität der Religionen und Bekenntnisse.
IV.
84 Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss
rechtstreu sein. Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten,
insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungsrechtlichen
und den sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird.
85 1. Das ist auch in der Literatur allgemein anerkannt (vgl. A. Frhr. v. Campenhausen, in: v.
Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, GG, 3. Aufl. 1991, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 150;
Ch. Link, Zeugen Jehovas und Körperschaftsstatus, ZevKR 43 <1998>, S. 1, 20, m. w. N.).
Schon aus der Bindung aller öffentlichen Gewalt an Gesetz, Recht und Verfassung (Art. 20
Abs. 3 GG) folgt, dass eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts
die Gewähr dafür bieten muss, die ihr übertragene Hoheitsgewalt in Einklang mit den
verfassungsrechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Vorgaben auszuüben.
86 Diese rechtsstaatliche Bindung scheitert nicht daran, dass korporierte Religionsgemeinschaften
die ihnen übertragene Hoheitsgewalt nicht – wie Beliehene – zur Erfüllung staatlicher Aufgaben
einsetzen, sondern zu eigenen Zwecken. Denn unter dem Grundgesetz ist jegliche Ausübung
von Hoheitsgewalt an die Verfassung und an die gesetzliche Ordnung gebunden.
87 2. Freilich darf auch außerhalb des Bereichs hoheitlichen Handelns von den korporierten
Religionsgemeinschaften Rechtstreue verlangt werden. Jede Vereinigung hat, wie jeder Bürger,
die staatsbürgerliche Pflicht zur Beachtung der Gesetze.
88 Zwar trifft sie bei Verletzung dieser Pflicht nur die im Gesetz jeweils vorgesehene Sanktion,
und ein Verbot der Vereinigung ist erst unter den in Art. 9 Abs. 2 GG bestimmten besonderen
Voraussetzungen angeordnet. Von einer Vereinigung aber, die in öffentlich-rechtlicher Gestalt
auftritt, darf erwartet werden, dass sie nicht erst durch die Drohung mit staatlichen Sanktionen
und Zwangsmechanismen zu rechtskonformem Handeln angehalten werden muss. Ansonsten
stünde nicht nur zu befürchten, dass diese Vereinigung auch ihre hoheitlichen Befugnisse nicht
rechtskonform ausüben werde. Der Staat muss vielmehr darauf bedacht sein und dafür Sorge
tragen, dass durch das Handeln öffentlich-rechtlicher Gebilde Rechte Dritter nicht verletzt
werden, selbst wenn diese Zuordnung zum öffentlichen Recht eine eher formelle ist.
89 3. Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr
rechtstreuen Verhaltens in Frage. Auch den korporierten Religionsgemeinschaften ist es
unbenommen, Meinungsverschiedenheiten mit staatlichen Behörden darüber, wo im Einzelfall
die der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und dem religiösen Selbstbestimmungsrecht
(Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) durch das Gesetz gezogene Grenze verläuft, durch
die Gerichte klären zu lassen (vgl. G. Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im
Staatskirchenrecht, in: Festschrift für Martin Heckel, 1999, S. 411, 413).
90 Außerdem erheben viele Religionen, die die Autorität staatlicher Gesetze für sich grundsätzlich
anerkennen, gleichwohl einen Vorbehalt zu Gunsten ihres Gewissens und ihrer aus dem
Glauben begründeten Entscheidungen und bestehen letztlich darauf, im unausweichlichen
Konfliktfall den Glaubensgeboten mehr zu gehorchen als den Geboten des Rechts. Derartige
Vorbehalte sind Ausdruck der für Religionen nicht untypischen Unbedingtheit ihrer
Glaubenssätze. Sie sind auch von manchen alt- und neukorporierten Religionsgemeinschaften
bekannt, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie, je nach Lage des Einzelfalls, unter dem
Schutz des Art. 4 GG stehen. Aus Rücksicht auf die Religionsfreiheit, der der Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV letztlich
dient, stehen sie der Verleihung dieses Status jedenfalls so lange nicht im Wege, als die
Religionsgemeinschaft im Grundsatz bereit ist, Recht und Gesetz zu achten und sich in die
verfassungsmäßige Ordnung einzufügen.
V.
91 Eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben
will, muss insbesondere die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Art. 79
Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz
anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und
Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet.
92 1. a) Art. 79 Abs. 3 GG entzieht die in Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze
jeglicher Änderung. Das Grundgesetz erklärt damit neben dem in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten
Grundsatz der Menschenwürde und den von ihm umfassten Kerngehalt der nachfolgenden
Grundrechte (vgl. BVerfGE 84, 90 <120 f.>; 94, 12 <34>) auch andere Garantien für
unantastbar, die in Art. 20 GG festgehalten sind.
93 Dazu gehören die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie (vgl. BVerfGE 89, 155 <182>; 94,
49 <103>). Eine systematische Beeinträchtigung oder Gefährdung dieser vom Grundgesetz auf
Dauer gestellten Grundsätze darf der Staat nicht hinnehmen, auch nicht von Seiten einer als
Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaft.
94 b) Die korporierten Religionsgemeinschaften sind – soweit sie außerhalb des ihnen
übertragenen Bereichs hoheitlicher Befugnisse handeln – an die einzelnen Grundrechte nicht
unmittelbar gebunden (P. Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften
des öffentlichen Rechts, in: J. Listl/D. Pirson , Handbuch des Staatskirchenrechts,
Bd. I, 2. Aufl. 1994, § 22, S. 651, 676 ff.). Die Verleihung des Status einer Körperschaft des
öffentlichen Rechts bindet sie aber an die Achtung der fundamentalen Rechte der Person, die
Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist. Das Grundgesetz unterstellt die Menschenwürde und
andere Grundrechte dem Schutz der Verfassung. So verpflichtet es den Staat, menschliches
Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen (BVerfGE 56, 54 <73>; 79, 174 <201 f.>; 88, 203 <251>). Kinder können staatlichen Schutz ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1
und Abs. 2 Satz 1 GG beanspruchen; dabei bildet das Kindeswohl den Richtpunkt für den
staatlichen Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (BVerfGE 99, 145 <156>). Und Art. 4
Abs. 1 und 2 GG fordert vom Staat, den Einzelnen und religiöse Gemeinschaften vor Angriffen
und Behinderungen von Anhängern anderer Glaubensrichtungen oder konkurrierender
Religionsgruppen zu schützen (BVerfGE 93, 1 <16>).
95 Korporierte Religionsgemeinschaften haben einen öffentlich-rechtlichen Status und sind
mit bestimmten hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Sie verfügen damit über besondere
Machtmittel und einen erhöhten Einfluss in Staat und Gesellschaft. Ihnen liegen deshalb
die besonderen Pflichten des Grundgesetzes zum Schutz der Rechte Dritter näher als
anderen Religionsgemeinschaften. Diese Pflichten verbieten die Verleihung des Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts an eine Religionsgemeinschaft, gegen die einzuschreiten
der Staat zum Schutz grundrechtlicher Rechtsgüter berechtigt oder gar verpflichtet wäre.
96 c) Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist ein Mittel zur Erleichterung und
Entfaltung der Religionsfreiheit. Für die korporierten Religionsgemeinschaften begründet
er eine bevorzugte Rechtsstellung. Er ist in das freiheitliche Staatskirchenrecht des
Grundgesetzes eingebettet. Dieses Staatskirchenrecht hat die Religionsfreiheit zum leitenden
Bezugspunkt. Es hat Staatskirche und Staatsreligion abgeschafft. Es achtet die Grundsätze
der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Parität der Religionen
und Bekenntnisse, und es gewährleistet, dass der Körperschaftsstatus die Freiheitlichkeit
des Religionsverfassungsrechts insgesamt nicht schmälert. Diese Verfassung setzt dem
Körperschaftsstatus Grenzen, und diese Grenzen müssen auch die mit dem bevorzugten Status
ausgestatteten Religionsgemeinschaften achten. Ihr Verhalten darf diese Grundsätze des
freiheitlichen Staatskirchenrechts nicht beeinträchtigen oder gefährden. Das Grundgesetz
verbietet die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an eine
Religionsgemeinschaft, die nicht die Gewähr dafür bietet, dass das Verbot einer Staatskirche
sowie die Prinzipien von Neutralität und Parität unangetastet bleiben.
97 2. Rechtliche Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen
Rechts werden will, müssen in ihren Inhalten so gefasst werden, dass sie nicht ihrerseits
in Widerspruch zu den prinzipiellen Wertungen des verfassungsrechtlichen Religions- und
Staatskirchenrechts geraten.
98 a) Ob einer antragstellenden Religionsgemeinschaft der Körperschaftsstatus zu versagen ist,
richtet sich nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem Verhalten. Der Grundsatz religiösweltanschaulicher
Neutralität (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 93, 1 <17>) verwehrt es dem
Staat, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. Mangels Einsicht
und geeigneter Kriterien darf der neutrale Staat im Bereich genuin religiöser Fragen nichts
regeln und bestimmen (BVerfGE 12, 1 <4>; 41, 65 <84>; 72, 278 <294>; 74, 244 <255>).
Das hindert ihn freilich nicht daran, das tatsächliche Verhalten einer Religionsgemeinschaft
oder ihrer Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu beurteilen, auch wenn dieses Verhalten
letztlich religiös motiviert ist.
99 Ob dabei Glaube und Lehre der Gemeinschaft, soweit sie sich nach außen manifestieren,
Rückschlüsse auf ihr zu erwartendes Verhalten zulassen, ist eine Frage des Einzelfalls.
100 b) Die in Art. 20 GG niedergelegten Grundprinzipien und die Grundsätze des Religionsund
Staatskirchenrechts sind schon ihrer Herkunft und ihrem Inhalt nach Strukturvorgaben
staatlicher Ordnung. Nur als solche verdienen sie Schutz. Sie enthalten keine Vorgaben für die
Binnenstruktur einer Religionsgemeinschaft.
101 Überdies widerspräche es der Religionsfreiheit und dem in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs.
3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, von einer
korporierten Religionsgemeinschaft etwa eine demokratische Binnenstruktur zu verlangen
oder ihre Äußerungen über andere Religionen und Religionsgemeinschaften dem Gebot der
Neutralität zu unterstellen. Auch den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten
Religionsgemeinschaften bleibt es unbenommen, ihr Verhältnis zu anderen Religionen und
Religionsgemeinschaften nach ihrem eigenen religiösen Selbstverständnis zu gestalten,
solange sie den verfassungsrechtlichen Ordnungsrahmen, der auch die Grundlage ihrer eigenen
religiösen Freiheit bildet, nicht beeinträchtigen. Dies wäre etwa der Fall, wenn sie auf die
Verwirklichung einer theokratischen Herrschaftsordnung hinwirkten.
102 c) Von den korporierten Religionsgemeinschaften eine über die genannten Anforderungen
hinausgehende Loyalität zum Staat zu verlangen, ist zum Schutz der verfassungsrechtlichen
Grundwerte nicht notwendig und mit ihnen im Übrigen auch nicht vereinbar.
103 Das Wirken und der Status einer korporierten Religionsgemeinschaft bleiben, soweit nicht
verfassungsrechtliche Einschränkungen geboten sind, von der grundrechtlichen Freiheit des
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geprägt. Dem Träger dieser Freiheit ist es überlassen, ob und wie er
seinen Freiheitsraum ausfüllt. Grundrechtliche Freiheit ist, vom Staat aus betrachtet, formale
Freiheit. Der Grundrechtsträger muss sein Handeln nicht an den Interessen des Staates
orientieren. Dies aber würde man von einer Religionsgemeinschaft verlangen, die ihr Wirken
auf die Ziele des Staates, seine Verfassungsordnung und die dort niedergelegten Werte „loyal“
auszurichten hätte (vgl. St. Korioth, Loyalität im Staatskirchenrecht?, in: Gedächtnisschrift für
Bernd Jeand’Heur, 1999, S. 221, 243).
104 Überdies ist die Forderung, eine korporierte Religionsgemeinschaft müsse loyal zum Staat
stehen, rechtlich nicht leicht zu handhaben. „Loyalität“ ist ein vager Begriff, der außerordentlich
viele Deutungsmöglichkeiten eröffnet bis hin zu der Erwartung, die Religionsgemeinschaft
müsse sich bestimmte Staatsziele zu Eigen machen oder sich als Sachwalter des Staates
verstehen. Der Begriff zielt nämlich auch auf eine innere Disposition, auf eine Gesinnung, und
nicht nur auf ein äußeres Verhalten. Damit gefährdet er nicht nur die Rechtssicherheit, sondern
führt auch in eine Annäherung von Religionsgemeinschaft und Staat, die das Staatskirchenrecht
des Grundgesetzes weder verlangt noch billigt.
105 Aus den gleichen Gründen kann es unter dem Grundgesetz nicht Ziel einer Verleihung des
Körperschaftsstatus sein, eine Religionsgemeinschaft durch Privilegien zur Kooperation mit
dem Staat anzuhalten. Das Grundgesetz sieht eine Zusammenarbeit des Staates mit den
Religionsgemeinschaften zum Teil ausdrücklich vor – etwa bei der Erhebung von Kirchensteuern
(Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV) oder beim Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 3 GG)
– und lässt sie in weiteren Bereichen zu. Es macht sie den Religionsgemeinschaften aber
nicht zur Bedingung. Ob sie derartige Angebote annehmen oder Distanz zum Staat wahren
möchten, bleibt ihrem religiösen Selbstverständnis überlassen. Andererseits hängt es von
den Charakteristika der jeweiligen Kooperationsangebote und den konkreten Vorgaben der
auf Neutralität und Parität bedachten Verfassung ab, welchen Religionsgemeinschaften sie
offen stehen. Dass das Grundgesetz Religionsunterricht und Anstaltsseelsorge im Grundsatz
allen Religionsgemeinschaften zugänglich macht, zeigt aber, dass es Vergünstigungen
und Mitwirkungschancen nicht schematisch danach zuweist, in welcher Rechtsform eine
Religionsgemeinschaft organisiert ist. Einen Automatismus zwischen dem Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts und staatlichen Vergünstigungen, die nicht bereits mit
diesem Status selbst gewährleistet sind („Privilegien“), gibt es nicht.
106 3. Die Prüfung, ob eine Religionsgemeinschaft nach ihrem gegenwärtigen und zu erwartenden
Verhalten die Gewähr dafür bietet, die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen
Verfassungsprinzipien, die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie
die Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht zu
beeinträchtigen oder zu gefährden, setzt eine komplexe Prognose voraus. Dabei muss eine
Vielzahl von Elementen zusammengestellt und gewürdigt werden. Mathematische Genauigkeit
ist nicht zu erreichen. Für eine solche Prognose nicht untypisch wäre die Annahme, dass sich
eine Gefährdung der genannten Schutzgüter erst aus dem Zusammenwirken vieler einzelner
Umstände ergibt. Andererseits stellen bloß punktuelle Defizite die geforderte Gewähr nicht in
Frage. Hier ist den Fachgerichten eine typisierende Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung
aller derjenigen Umstände aufgegeben, die für die Entscheidung über den Körperschaftsstatus
von Bedeutung sind.
VI.
107 Nach diesen Maßstäben verletzt das angegriffene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts das
Recht der Beschwerdeführerin aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV.
108 1. Zutreffend nimmt das Bundesverwaltungsgericht allerdings an, dass der Beschwerdeführerin
der Körperschaftsstatus nicht schon wegen ihrer grundsätzlichen Haltung zum Staat versagt
werden darf. Dass die Beschwerdeführerin in ihren religiösen Lehren jedes politische System
und damit auch die Verfassungsordnung des Grundgesetzes als „Bestandteil der Welt Satans“
ansieht (vgl. Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft , Du kannst für immer im
Paradies auf Erden leben, 1982/1989, S. 210), ist nicht ausschlaggebend. Es ist dem religiösweltanschaulich
neutralen Staat verwehrt, Glauben und Lehre als solche zu bewerten.
Maßgeblich ist vielmehr das tatsächliche Verhalten der Religionsgemeinschaft. In diesem
tatsächlichen Verhalten erkennt die Beschwerdeführerin den Staat des Grundgesetzes wie
andere „obrigkeitliche Gewalten“ als von Gott geduldete Übergangsordnung an. Eine darüber
hinausgehende Zustimmung oder Hinwendung zum Staat verlangt das Grundgesetz nicht.
109 2. Allein das religiöse Verbot der Teilnahme an staatlichen Wahlen rechtfertigt die Versagung
des Körperschaftsstatus nicht.
110 Zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört, dass
sich die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse auf das
Staatsvolk zurückführen lassen müssen (BVerfGE 89, 155 <182>). Das hat die freie Wahl der
Volksvertreter als Grundakt demokratischer Legitimation zur Voraussetzung (vgl. BVerfGE 44,
125 <140>).
111 Das Grundgesetz richtet an seine Bürger die Erwartung, dass sie die ihnen eröffneten
Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung auch wahrnehmen. Es hat aber aus guten Gründen
davon abgesehen, diese vorrechtliche Verantwortung zu einer Rechtspflicht auszugestalten.
Denn das Einverständnis der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung,
ohne die die freiheitliche Demokratie nicht leben könnte, lässt sich nicht durch eine
Verpflichtung zum Gehorsam oder gar durch Sanktionen erzwingen. Das Lebenselement
der Demokratie ist die freie geistige Auseinandersetzung (vgl. BVerfGE 69, 315 <344 f.>).
Sie schafft die motivierenden Kräfte, die die Bereitschaft der Bürger zur Teilnahme an den
demokratischen Wahlen hinreichend, wahrscheinlich sogar besser gewährleisten.
112 Die Enthaltsamkeit der Beschwerdeführerin gegenüber staatlichen Wahlen betrifft deswegen
das Demokratieprinzip nicht in seinen normativen Gehalten, sondern in seinen tatsächlichen
Voraussetzungen. Sie ist weder politisch begründet noch intentional auf eine Schwächung der
Demokratie gerichtet. Die Beschwerdeführerin will nicht die Demokratie durch eine andere
Staatsform ersetzen. Sie entwirft und verfolgt kein politisches Programm, sie verfolgt im
Gegenteil einen apolitischen Lebensentwurf. Die Bestrebungen der Beschwerdeführerin richten
sich nicht gegen die freiheitliche Verfassungsordnung, sondern auf ein Leben jenseits des
politischen Gemeinwesens in „christlicher Neutralität“.
113 Diese Deutung von Programm und Zielen der Beschwerdeführerin bestätigen auch die
tatsächlichen Entwicklungen.
114 Man müsste erwarten, dass sich die Haltung der Beschwerdeführerin in ihren praktischen
Folgen negativ auf die vom Demokratieprinzip geforderte demokratische Legitimation
der Staatsgewalt durch Wahlen auswirkt, wenn es ihr gelänge, erhebliche Teile der
wahlberechtigten Bevölkerung von einer Teilnahme an staatlichen Wahlen abzuhalten. Das ist in
den über hundert Jahren ihres Bestehens aber nicht der Fall gewesen. In ihrer auf Abgrenzung
bedachten Haltung, die sich auf religiös begründete Verlautbarungen beschränkt und sich
politischer Optionen enthält, übt die Beschwerdeführerin offenbar keinen spürbaren Einfluss auf
Nichtmitglieder aus. Deshalb ist ihr Verhalten gegenüber staatlichen Wahlen ein Gesichtspunkt,
der zwar bei der gebotenen typisierenden Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden
kann, der aber für sich allein die Annahme einer Gefährdung der unantastbaren Gehalte des
Demokratieprinzips nicht trägt.
115 3. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verletzt damit Art. 140 GG i. V. m. Art. 137
Abs. 5 Satz 2 WRV. Die Entscheidung beruht auf diesem Verfassungsverstoß, weil nach dem
bisherigen Sach- und Streitstand nicht abzusehen ist, ob der Beschwerdeführerin der Status
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts aus anderen Gründen zu versagen wäre oder nicht.
116 Insbesondere ist im fachgerichtlichen Verfahren offen geblieben, ob die Beschwerdeführerin
– wie das Land Berlin behauptet – durch die von ihr empfohlenen Erziehungspraktiken das
Wohl der Kinder beeinträchtigt oder austrittswillige Mitglieder zwangsweise oder mit vom
Grundgesetz missbilligten Mitteln in der Gemeinschaft festhält und damit dem staatlichen
Schutz anvertraute Grundrechte beeinträchtigt.
VII.
117 1. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist aufzuheben und das Verfahren an das
Bundesverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Bei der den Fachgerichten
nunmehr aufgegebenen erneuten Prüfung des Verleihensanspruchs im Wege der typisierenden
Gesamtbetrachtung wird insbesondere zu klären sein, ob die staatlichem Schutz anvertrauten
Grundrechte Dritter einer Verleihung des Körperschaftsstatus entgegenstehen.
118 2. Soweit die Verfassungsbeschwerde auch den Bescheid der Senatsverwaltung für
Kulturelle Angelegenheiten vom 20. April 1993 einbezieht, kommt dem in diesem Verfahren
keine eigenständige Bedeutung zu, weil die Verwaltungsgerichte diesen Bescheid auf die
Verpflichtungsklage der Beschwerdeführerin hin in vollem Umfang überprüft und ihrerseits über
den Anspruch der Beschwerdeführerin entschieden haben.
119 3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG
die notwendigen Auslagen zu erstatten.
D.
120 Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Quelle: © juris GmbH

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Hineingeborene haben es schwer nach dem Ausstieg

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Neue-Welt-Übersetzung

Ich habe es nachgeprüft. Die hier zitierten Bibeltexte fehlen in der NWÜ tatsächlich!

Math 16:3

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Atheismus gegen Fundamentalismus

Teil 1:

Teil 2:

Teil 3:

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Es gibt keinen Gott – Atheisten machen mobil

Ein Drittel der Menschen auf unserem Planeten sind Atheisten. Sie werden von den Religionen dieser Welt dominiert. Das beginnt schon bei dem Zwang eines wöchentlichen Ruhetages, geht weiter über Religionsunterricht an Schulen und indoktrinierung von Kindern. Jetzt fangen sie an sich zu organisieren und forderungen zu stellen.

Teil 1:

Teil 2:

Teil 3:

Teil 4:

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Radiointerview mit Teilnehmern der Anhörung

Hier kommen Rechtsanwalt Zillikens von Kids eV, Ministerialrat Birkert und Siegfried Koloschin von Ausstieg eV und Horst Frehe von den Grünen zu Wort:

http://www.dradio.de/aod/html/?mod=aod&station=&js_enabled=1&search=jehova&day1=18&month1=02&year1=2011&day2=18&month2=02&year2=2011&search_station=0&broadcast=&theme=&ACTION_SEARCH=Suchen

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Zeugen Jehovas verstoßen gegen das Grundgesetz – Schwarzwälder Bote

Stuttgart – Die Zeugen Jehovas verstoßen nach Ansicht des Landes Baden-Württemberg gegen das Grundgesetz. Unter anderem gefährde die Religionsgemeinschaft das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und der Ehe. Mit ihrem Verbot von Bluttransfusionen gefährdeten die Zeugen Jehovas außerdem „Leib und Leben“ von Kindern und Jugendlichen, sagte eine Sprecherin des Kultusministeriums am Mittwoch auf Anfrage. Die Landesregierung hatte sich mit der umstrittenen Glaubensgemeinschaft beschäftigt, weil sie als Körperschaft öffentlichen Rechts mit den christlichen Kirchen gleichgestellt werden wollte. Das lehnt das Land ab.

Die Glaubensgemeinschaft verbiete den Kontakt mit „abtrünnigen“ Familienmitgliedern. Das verstoße gegen Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes – den Schutz von Ehe und Familie. Mit dem Kontaktverbot zu ausgetretenen Mitgliedern „halte sie zudem mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln austrittswillige Mitglieder in der Religionsgemeinschaft fest“, heißt es weiter. Das sei ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes.

Weil nach den Regeln der Zeugen Jehovas die Annahme von Blut oder Blutbestandteilen selbst im äußersten Notfall verboten ist, seien das Leben von Kindern und Jugendlichen gefährdet – ein Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die meisten Bundesländer haben die Zeugen Jehovas inzwischen als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt und sie damit den christlichen Kirchen gleichgestellt. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugunsten der Gruppierung aus dem Jahr 2000.

Die baden-württembergische CDU/FDP-Landesregierung ist anderer Rechtsauffassung. Das Kabinett hatte den Antrag schon Mitte Dezember abgelehnt. Der offizielle Ablehnungsbescheid wurde allerdings erst jetzt zugestellt. Eine Klage der umstrittenen Glaubensgemeinschaft vor Gericht gilt als wahrscheinlich.

In Baden-Württemberg hat die Gruppierung nach eigenen Angaben 28.000 Mitglieder. Als Körperschaft des öffentlichen Rechtes müssten die Zeugen Jehovas weniger Steuern und Verwaltungsgebühren zahlen. Sie könnten eine Kirchensteuer erheben und dürfen wie die evangelische und katholische Kirche in Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen.

Quelle: http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.zeugen-jehovas-verstoss-gegen-das-grundgesetz.4fd9fa7a-4f58-4b34-8d4c-cb0c004eebca.html

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Zeugen Jehovas verstoßen gegen Grundgesetz – Bildzeitung – etwas dünn

Land: Zeugen Jehovas verstoßen gegen Grundgesetz
Mittwoch, 16. Februar 2011, 14:50 Uhr
Stuttgart (dpa/lsw) – Die Zeugen Jehovas verstoßen nach Ansicht des Landes Baden-Württemberg gegen das Grundgesetz. Unter anderem gefährde die Religionsgemeinschaft das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und der Ehe. Mit ihrem Verbot von Bluttransfusionen gefährdeten die Zeugen Jehovas außerdem «Leib und Leben» von Kindern und Jugendlichen, sagte eine Sprecherin des Kultusministeriums am Mittwoch auf Anfrage. Die Landesregierung hatte sich mit der umstrittenen Glaubensgemeinschaft beschäftigt, weil die als Körperschaft öffentlichen Rechts mit den christlichen Kirchen gleichgestellt werden wollte. Das lehnt das Land ab.

Quelle: www.bild.de

Immerhin: die Bildzeitung hat der Würde von Ex-Zeugen ein paar Zeilen gewidmet. Mal sehen, ob wir das noch toppen können.

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Zerrbild oder abstruse Sekte? – Nordsee-Zeitung

Bremerhaven. Bei Geburten liegt die Sterberate der Mütter, die zu den Zeugen Jehovas gehören, bis zu 60 mal über dem Durchschnitt. Das religiös begründete Verbot der Bluttransfusion sorgt für dieses Desaster, und es bringt Ärzte in größte Schwierigkeiten. Besonders, wenn es um das Leben von Kindern geht. Steht so eine Religion auf den Grundlagen des Rechtsstaats? Von Klaus Mündelein

Es war teilweise erschütternd, was die Bürgerschaftsabgeordneten gestern von Klinikärzten zu hören bekamen, die von ihren Erfahrungen mit Zeugen Jehovas berichteten. „Das Verbot der Bluttransfusion bringt Ärzte in den Konflikt, sich zwischen unterlassener Hilfeleistung und Missachtung des Patientenwillens zu entscheiden“, sagte Dr. Burkhard Hofmann vom Bremer Rot-Kreuz-Krankenhaus. „Wenn ein Kind eine Bluttransfusion braucht, sind die Eltern zwiegespalten zwischen der rational richtigen Entscheidung für die Fusion und der Angst, die Seele zu verlieren“, sagte Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz von der Professor-Hess-Kinderklinik. Einige überließen dann die Entscheidung Dritten.

Kann man so eine religiöse Gruppierung mit anderen Religionen gleichstellen? Das fordern die Zeugen Jehovas. Sie wollen auch im Land Bremen Körperschaft des öffentlichen Rechts werden. Damit sind steuerliche Privilegien und das Recht, Kindergärten zu betreiben, verbunden. Baden-Württemberg hat den Antrag gerade abgewiesen, Rheinland-Pfalz auch. Die Mehrheit der Bundesländer gewährte das Privileg jedoch.

Im Land Bremen ist die Bürgerschaft zuständig. Um sich ein Bild zu machen, hatten die Abgeordneten gestern zur Anhörung geladen. Stundenlang waren schwere Bedenken von ehemaligen Zeugen oder Anwälten zu hören. Auf die ging am Ende Gajus Glockentin vom Vorstand der Zeugen Jehovas nicht ein. Er nannte die Anhörung eine „Inszenierung“, bei der die 2000 Zeugen Jehovas im Land „mit Schmutz beworfen“ würden. Es lägen keine Rechtsverstöße vor, und dennoch würden hier viele Berichte zum Besten gegeben.

Die Ausschussvorsitzende Insa Peters-Rehwinkel (SPD) verbat sich den Vorwurf der Inszenierung und sprach Glockentin das Recht ab, Äußerungen der Referenten zu bewerten. Kritiker, die einst selbst zu den Zeugen gehörten, berichteten über die seelische Gewalt, denen Abtrünnige ausgesetzt seien. Der Kontakt mit ihnen werde untersagt, der Riss gehe durch Familien. „Vati ist jetzt böse, weil er Jehova verlassen hat und vernichtet wird“, berichtet Bernd Galeski vom Netzwerk Sektenausstieg den Einfluss, der dabei auf Kinder ausgeübt werde.

Quelle: http://www.nordsee-zeitung.de/Home/Nachrichten/Startseite/Zerrbild-oder-abstruse-Sekte-_arid,515819_puid,1_pageid,52.html

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Zusammenfassung von Bernd Galeski

So, Ihr Lieben,

ich geb‘ Euch schonmal einen ersten Stimmungsbericht der gestrigen Sitzung.

Zuvor ein paar Zahlen:

Angemeldete Teilnehmer 28,

davon

11 Mitglieder der Bremer Bürgerschaft
1 Ausschussassistenz
1 Vertreter der Zeugen Jehovas
1 Vertreterin des Amtes für soziale Dienste
1 Vertreter der Senatorin für Bildung und Wissenschaft
3 VertreterInnen von Ausstieg Karlsruhe e.V.
1 Dr. med. des Rotes-Kreuz-Krankenhauses
1 Prof. Dr. med. des Klinikums Bremen-Mitte
1 Rechtsanwalt von KIDS e.V.
1 Vertreterin von Zeugen Jehovas-Ausstieg i. Gr.
1 Vertreter von Netzwerk Sektenausstieg e.V.
1 Pastorin und
1 Pastor der Evangelischen Landeskirche
1 Dr. jur. und
1 Ministerialrat vom Justizministerium Baden-Württemberg
1 Prof., Staatsrat beim Senator für Justiz und Verfassung

Außer diesen geladenen Personen waren noch etliche Vertreter der Medien sowie einige Zuschauer im Raum.

Es war eine doch recht umfängliche Runde und die Tische waren in einem entsprechend großen Karree angeordnet.

Nebenbei bemerkt war der Vertreter vom Netzwerk Sektenausstieg e.V. unpünktlich zur Sitzung erschienen, da er sich naiverweise allzu vertrauensselig auf die Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn AG verlassen hatte…

Dadurch konnte ich leider nicht mehr den Bericht aus Baden-Württemberg verfolgen.
Ich habe heute früh in der Bremer Bürgerschaft angefragt, ob ich das Protokoll der Sitzung bekomme. Mal sehen.

So, nun einige ganz persönliche Bemerkungen:
Die Stimmung im Raum war sehr offen, freundlich, respektvoll und höflich. Das machte es für alle Beteiligten leichter, sich der Situation zu stellen und frei und offen ihre jeweiligen Anliegen vorzutragen.

Meinen Redeplan konnte ich weitgehend vergessen, da die Nachfragen der Bremer Abgeordneten recht themenübergreifend waren, so dass man achtgeben musste, nicht alles unnötig zu wiederholen.

Alle waren sehr gut vorbereitet, Abgeordnete wie auch sämtliche Referenten.
Von Letzteren darf ich sagen, sie haben samt und sonders ihre Sache sehr gut gemacht.
Aufzählung der Fakten, persönliche Berichte, vor allem aber – und darin waren insbesondere die Vertreter der Ausstiegsvereine unschlagbar – Zitate aus den Schriften der Religionsgemeinschaft.

Es ist uns gelungen, Schein und Sein der Religionsgemeinschaft aufzuzeigen – die Doppelbödigkeit in Außendarstellung und knallharter innerer Verfasstheit gründlich auszuleuchten.

Alle Referenten der Ausstiegsvereine waren bestens mit Originalen der WT-Literatur präpariert, aus denen ganz nach Belieben der Abgeordneten und deren akribische Nachfragen zitiert werden konnte.

Was die beiden Ärzte der Bremer Kliniken über die Praxis der Blutverweigerung von Zeugen Jehovas im „real life“ berichteten, verschlug allen Anwesenden schier die Sprache.

Beide betonten, dass diese Angelegenheit für sie stets ein Drahtseilakt sei und dass sie in all ihren Bemühungen sich zu allererst um das Wohl von Kindern sorgten.
Dabei hätten sie zu entscheiden, ob sie den Eltern oder auch einem erwachsenen Patienten, die Blut verweigerten, helfen wollten oder ob sie den Patienten im Zweifelsfall „auf dem OP-Tisch liegen lassen“ würden. Da sei jeder Arzt allein seinem Gewissen gegenüber verantwortlich und niemand könne einem Arzt in dieser Beziehung eine Weisung erteilen.

Auf die „Krankenhausverbindungskomitees“ waren sie nur leidlich gut zu sprechen. Diese Abgesandten der Religionsgemeinschaft, diese „Betreuer oder wie die richtig heißen“ übten allein durch ihre Gegenwart einen massiven psychischen Druck auf Patienten oder Eltern aus.
Es sei nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass ein Zeuge Jehovas im Beisein eines solchen „Betreuers“ einer Bluttransfusion zugestimmt habe, wohl aber komme es durchaus vor, dass nach deren Verabschiedung der Patient oder die Eltern sich noch einmal im Vertrauen an die Ärzte wendeten, mit den Worten: „Herr Doktor, tun Sie, was Sie für richtig halten; es muss ja sonst niemand wissen.“

O-Ton eines der referierenden Ärzte:
„Im Zweifel sind wir länger im Krankenhaus, als die Betreuer. Die gehen abends irgendwann nach Haus‘ und dann bieten wir dem Patienten im Vieraugengespräch unsere Hilfe an.“

Auch die Doppelbödigkeit in Verbindung mit Bildung konnten wir anhand einschlägiger Zitate belegen. Dabei kam es mir zum Beispiel darauf an, deutlich zu machen, dass Eltern ihren Kindern Schulbildung vor allem deshalb angedeihen lassen, damit diese nachher umso „wirkungsvollere Königreichsverkündiger“ würden.
Wie gesagt, wir brauchten bloß aus dem umfangreichen Material, mit dem wir uns „bewaffnet“ hatten, eins zu eins vorzulesen.

All diesen zum Teil sehr nahegehenden Berichten, persönlichen Erfahrungen sowie den vielen Zitaten hörten die Abgeordneten mit für mein Wahrnehmen stetig steigendem Interesse zu.
Das zeigten die zuweilen nicht enden wollenden Nachfragen beinahe sämtlicher Abgeordneter.

Dann kam Glockentin.
Zunächst beschwerte er sich, erst ganz am Ende der Anhörung und auch nur für 5 Minuten gehört zu werden.

Dann tat er etwas, was die Abgeordneten aufhorchen lies.
Er bezeichnete die Anhörung wörtlich als „Inszenierung“, bei der von vornherein das Endergebnis feststehe. Die ganze Zeit sei es nicht darum gegangen, ob die friedlichen 2000 Bremer Bürger, die sich in ihrer Religion wohlfühlten, rechtstreu wären, denn allein die Rechtstreue der Zeugen Jehovas stehe zur Debatte und solle untersucht werden.
Stattdessen erlebe er, wie diese friedlichen Bürger die ganze Zeit mit Schmutz beworfen würden, er erkenne seine Religionsgemeinschaft in dem Zerrbild, das hier von ihnen gezeichnet werde, nicht wieder.

Um aber feststellen zu können, ob die Zeugen Jehovas rechtstreu seien oder nicht, müssten Belege herbeigeschafft werden, wo seien diese? Haben Zeugen Jehovas gegen konkrete Gesetze verstoßen?
Und dann bitte keine Grundrechtsverstöße, darum ginge es hier nicht, da diese letztlich auch nicht justiziabel seien, sondern Verstöße gegen konkrete Einzelgesetze aus dem BGB.

Aber er habe verstanden, dass es um eine objektive Beurteilung der Religionsgemeinschaft nicht gehe, denn damit man objektiv urteilen könne, müsse man vor allem die Betroffenen selbst hören, nur dann seien Richter in der Lage, ein faires Urteil zu fällen.

Er bezweifle, bei der ganzen Verfahrensweise, ob die Bürgerschaft überhaupt zu einem ausgewogenen Urteil in dieser Angelegenheit gelangen könne.

Zwar erkenne er an, dass es persönliche Schicksale gebe, die man als tragisch bezeichnen könne, und „das tut jedem anständigen Menschen leid“.

Im Großen und Ganzen aber erschienen ihm besonders die Berichte von Aussteigern doch eher unglaubwürdig.

„Sie wollen doch nicht im Ernst Personen glauben, die mit Schmutz um sich werfen.“

Interessant war, dass zu den Ausführungen Glockentins von seiten der Abgeordneten keine einzige Nachfrage kam. Dafür aber kam etwas ganz anderes:

Zunächst ergriff die Ausschussvorsitzende das Wort: „Herr Glockentin, ich möchte Ihnen zunächst sagen, dass ich den Vorwurf, hier würde eine Inszenierung stattfinden, entschieden zurückweise.“
Hier gehe es nicht darum, die Zeugen Jehovas zu verunglimpfen, auch sitze hier niemand über sie zu Gericht.
Der Rechtsausschuss habe diese Anhörung organisiert, um sich ein möglichst umfassendes Bild der Angelegenheit zu machen und „es ist das souveräne Recht dieses Ausschusses“, die Experten und Referenten dazu zu laden, die seiner Meinung nach zu diesem vollständigen Bild beitragen können.
Wie der Ausschuss am Ende befinde, dürfe Glockentin getrost den Abgeordneten überlassen. Diese seien sehr wohl fähig, nach Anhörung aller Berichte, Zitate und Fakten zu einem selbständigen Gesamturteil zu gelangen. (Gedächtniszitat)

Auch die Vertreter anderer Parteien meldeten sich zu Wort, und zwar nicht, um Fragen zu stellen, sondern um Herrn Glockentin zu bedeuten, dass er sich mit seinem „Rundumschlag“ keinen Gefallen getan habe.
„Es kommt nicht gut, wenn man hier einen solchen Angiff startet“, war die Replik eines Juristen, den Glockentin in einer Anspielung mit dem Hinweis erwähnte, man solle mal einen ehemaligen FDP-Abgeordneten nach dessen Beurteilung der FDP befragen.

Glockentin hatte sich im übrigen nicht entblödet [es tut mir leid, dass ich so formulieren muss] das Beispiel des BMW-Fahrers zu bemüßigen, den man zu seiner Meinung über die Marke Mercedes frage.
Mit diesem Vergleich beförderte er sich meiner Meinung nach ins intellektuelle Abseits. Wie ich überhaupt vom intellektuellen Niveau der Ausführungen Glockentins enttäuscht war. Da hatte ich wesentlich mehr gedankliche Schärfe und rhetorische Brillanz erwartet.
Übrigens fehlte eine konkrete Stellungnahme zu unseren Argumenten völlig.

Insgesamt hat Glockentin mit seinem Statement der Sache der Aufklärung über die Zeugen Jehovas einen großen Dienst erwiesen. Besser als es bei ihm zu beobachten war, konnte die Janusköpfigkeit dieser Organisation nicht vorgeführt werden.

Man könnte meinen, die Religionsgemeinschaft wird allmählich nervös und dünnhäutig, jetzt, da ihre Argumente nicht mehr verfangen und da man endlich das Versäumnis der vergangenen Verfahren nachholt, die Kritiker zu hören.

Wie auch immer die Bremer Bürgerschaft in hanseatischer Souveränität entscheidet, die Anhörung würde ich in jedem Fall als Erfolg der Aufklärung bezeichnen. Wir hatten Öffentlichkeit, unsere Argumente, Berichte und Erfahrungen sind gehört worden. Es liegt nun beim Bremer Gesetzgeber, sie zu würdigen und ggf. in die Gesamtbeurteilung der Religionsgemeinschaft einfließen zu lassen.

Quelle: http://forum.sektenausstieg.net/showthread.php?13104-Kontroverse-über-Glaubensgemeinschaft-in-Bremen

Hallo Bernd,

jetzt weiß ich, warum du bei Glockentin ohne aufzublicken so unermüdlich mitgeschrieben hast. Toller Bericht. Du hast die Stimmung gut eingefangen.

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Kontroverse über Glaubensgemeinschaft – Weser-Kurier

Jehovas Zeugen wollen mehr Rechte
Von Sara Sundermann
Bremen. Die Zeugen Jehovas haben in Bremen mehr Rechte beantragt. Sie wollen als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt werden. Durch diese Aufwertung wären sie den Kirchen gleichgestellt. Am Mittwoch hat der Rechtsausschuss der Bürgerschaft dazu verschiedene Stimmen gehört – und hat sich mitten in die Kontroverse begeben. Die Kritik an der Glaubensgemeinschaft ist massiv.

Die Stimmung im Saal ist ernst und konzentriert, erst ganz am Schluss kommt es zum Eklat. 30 Experten und fast ebenso viele Gäste sind versammelt. Die meisten Redner sind um Sachlichkeit bemüht, doch die Vorwürfe gegen die Religionsgemeinschaft wiegen schwer: Isolationshaft für Aussteiger, gegenseitige Bespitzelung von Mitgliedern, verweigerte Bluttransfusionen für kranke Kinder, Bildungsfeindlichkeit, Schläge und massive Indoktrination fallen als Stichworte im Ausschuss.

Prinzipiell haben sich die Zeugen Jehovas allerdings bereits vor dem Verfassungsgericht das Recht auf die Aufwertung erstritten. Doch weil Religion Ländersache ist, entscheidet jedes Bundesland zusätzlich selbst über die Anerkennung. Nur wenn die Bürgerschaft fehlende Rechtstreue bei den Zeugen Jehovas erkennen würde und den Antrag ablehnt, wäre die Aufwertung in Bremen noch aufzuhalten. Eigentlich geht es also um Gesetzesverstöße. Doch zugleich steht automatisch die gesamte Glaubensgemeinschaft im Visier.

„Ich war bis zu meinem 37. Lebensjahr bei den Zeugen Jehovas“, erzählt Bernd Galeski vom Netzwerk Sektenausstieg e.V. in Barmstedt. Zwei seiner Brüder machten sich in den Augen der Gemeinschaft der ,Hurerei’ schuldig, weil sie unverheiratet eine Freundin hatten und das nicht bereuten. „Zwanzig Jahre lang habe ich deshalb nicht mit meinen Brüdern gesprochen. Nach meinem Ausstieg habe ich mich als Erstes bei ihnen entschuldigt.“

Was er schildert, ist der Kontaktabbruch mit Gläubigen, die sich nicht an die Regeln halten. „Die Zeugen Jehovas haben eine interne Justiz, und die Höchststrafe ist der Gemeinschaftsentzug“, sagt Galeski. Die soziale Isolation, die ihm zufolge auch Aussteigern droht. Mehrere Experten und frühere Glaubensangehörige im Ausschuss bestätigten diese Praxis, die im Alltag ganze Familien auseinanderreißen kann. Zum Beispiel, wenn der Vater austritt und seine Kinder nicht mehr sehen kann oder von großen Teilen des Familienlebens ausgeschlossen wird. Ein Vorgehen, das als Grundrechtsverstoß gelten könnte.

Bluttransfusionen sind verboten

Doch das ist nicht der einzige umstrittene Aspekt. Kritisiert wird auch die Verweigerung von Bluttransfusionen. Die Zeugen Jehovas lehnen diese ab, weil die Bibel angeblich die Aufnahme von Blut verbietet. Wenn Eltern für Kinder die Transfusion verweigern, bringen sie damit möglicherweise das Leben des Kindes in Gefahr. Und stürzen auch die Ärzte in ein Dilemma.

Das wurde gestern deutlich, als zwei Ärzte von mehreren Fällen in Bremer Krankenhäusern berichteten.„Wir hatten ein Frühgeborenes mit Blutarmut“, erzählt Hans-Iko Huppertz von der Professor Hess-Kinderklinik. „Die Eltern waren Zeugen Jehovas. Mehrere Glaubensgenossen kamen hinzu. Schließlich lehnten die Eltern die Transfusion ab.“ Später seien sie aber noch einmal zu ihm gekommen und hätten von ihrem inneren Konflikt und der Angst vor der Ausstoßung berichtet. Nur durch eine rasche richterliche Verfügung erhielt das Kind schließlich die rettende Transfusion.

Kritisiert wurde außerdem eine fehlende Distanzierung vom Einsatz körperlicher Gewalt in der Kindererziehung. Verschiedene Schriften der Zeugen würden Schläge als Maßnahme empfehlen, bestätigten mehrere Experten und Betroffene.

Die Zeugen Jehovas selbst wurden nur ganz zuletzt und in aller Kürze gehört, was Gajus Glockentin, Vertreter und Justitiar der Wachtturm-Gesellschaft auch scharf kritisierte. Er nannte die Anhörung eine „Inszenierung“ und sagte: „Das Zerrbild, das hier von unserer Religion gezeichnet wird, kann ich nicht wiedererkennen.“ Die Bremer Zeugen Jehovas seien sehr gut integriert und fühlten sich in ihrer Religion wohl. „Wir haben hier 2000 Bürger in Bremen, die erneut mit Schmutz beworfen werden“, so Glockentin. Er kritisierte pauschale Vorwürfe und sprach von haltlosen Beschuldigungen. Den Vorwurf des absoluten Kontaktabbruchs zu Aussteigern allerdings bestritt er nicht, sondern stellte ihn in Beispielen sogar als legitimes Handeln dar.

Bislang haben zwölf Bundesländer der rechtlichen Aufwertung der Zeugen Jehovas zugestimmt. Baden-Würtemberg und Rheinland-Pfalz dagegen urteilten, dass die Gemeinschaft gegen das Grundgesetz verstößt und stimmten dagegen. Jetzt steht nur noch in Bremen und Nordrhein-Westfalen die Entscheidung aus.

http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Vermischtes/324036/Jehovas+Zeugen+wollen+mehr+Rechte.html

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Anhörung in Bremen – Zeugen Jehovas

Heute fand in Bremen die Anhörung statt durch den Rechtsausschuss der Bremerischen Bürgerschaft. Ein großes Kompliment an den Rechtsausschuss für diese gelungene Anhörung so vieler Personen zu der Frage, ob die Zeugen Jehovas in Bremen als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt werden sollen oder nicht. Obwohl nur jeder pro Frage 5 Minuten Redezeit hatte wurde das enorme Pensum in Ruhe abgearbeitet.

Alle Vertreter von Netzwerk Sektenausstieg eV, Ausstieg eV, Kids eV und Zeugen Jehovas Ausstieg haben zu den Fragen aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln Stellung genommen, sodass ein rundes Bild entstand, das sich mit den Beiträgen der Experten unterschiedlichster Fachrichtungen deckte. Vielen Dank an dieser Stelle den Veranstaltern, vor allen Dingen aber meinen Mitstreitern der anderen Ausstiegsorganisationen.

Zu den einzelnen Redebeiträgen werde ich in den nächsten Tagen etwas schreiben. Insgesamt haben alle Aussteiger einen guten Eindruck hinterlassen.

Kurzer Fernsehbeitrag mit Bernd Galeski:

http://www.radiobremen.de/mediathek/index.html?id=043135

Radiointerview mit Melanie Hartmann:

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/nordwestradio_journal/zeugenjehovas102.html

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Vorbereitung auf die Anhörung in Bremen

Liebe kleine „Schwester“ Manuela,
(das darf ich mit 57 Jahren als Mutter von 4 Kindern hoffentlich so zu dir sagen)

habe ganz herzlichen Dank für deine Erlaubnis deinen Fall als Beispiel mit heranzuziehen.
Man muss dem wirklich nichts hinzufügen:

Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass deine Familie den Weg aus dem geistigen Gefängnis findet.
Von meiner Familie ist niemand mehr eingeschlossen.

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Zeugen Jehovas und ihre Ausschlusspraktik

Im Wachtturm vom 15. 02.2011 fordert die Sekte ihre Anhänger erneut auf jeden Kontakt mit ehemaligen Zeugen zu vermeiden, S. 31 Abs 14 ff

http://goo.gl/sUHTU

Um die Versammlung vor schlechten Einfluss durch Ausgeschlossene zu schützen (Abs. 14) muss der Kontakt mit Ausgeschlossenen oder jenen, die die Gemeinschaft verlassen haben, vermieden werden. (Abs. 15). Was Außenstehenden herzlos vorkommt (und jetzt kommt das Perfide) ist in Wirklichkeit die wahre Liebe (Abs. 19)

Tiefstes Mittelalter zeigt sich hier. Die Regierungen sind aufgefordert, diese Tatsachen endlich zur Kenntnis zu nehmen.

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Veröffentlicht unter Allgemein, Gemeinschaftsentzug, Religionsfreiheit, Sektenausstieg, Zeugen Jehovas | Verschlagwortet mit , , | 14 Kommentare

Nein zu Zeugen Jehovas – Stuttgarter Nachrichten

Stuttgart – Mit ihren Zeitschriften „Wachturm“ und „Erwachet“ missionieren die Zeugen Jehovas in Wohngebieten und Fußgängerzonen. Die Politik im Land konnten sie bisher aber nicht von sich überzeugen.

Die Zeugen Jehovas werden in Baden-Württemberg bis auf weiteres nicht den christlichen Kirchen gleichgestellt. Die CDU-FDP-Landesregierung in Stuttgart hat, wie unsere Zeitung am Mittwoch erfuhr, inzwischen definitiv entschieden, der umstrittenen Glaubensgemeinschaft die geforderte staatliche Anerkennung zu verweigern. „Das Kabinett hat beschlossen, den Antrag der Zeugen Jehovas auf Verleihung der Körperschaftsrechte abzulehnen“, sagte eine Sprecherin des Kultusministeriums auf Anfrage unserer Zeitung. „Wir sind im Moment dabei, den Ablehnungsbescheid in enger Abstimmung mit dem Justizministerium zu erarbeiten, und werden diesen anschließend den Zeugen Jehovas zustellen.“

Der entsprechende Kabinettsbeschluss datiert vom 20. Dezember, ist bisher aber nicht öffentlich geworden.

Es wird erwartet, dass die Glaubensgemeinschaft, die in Baden-Württemberg nach eigenen Angaben 28000 Mitglieder hat, gegen den Bescheid vorgehen wird. Das letzte Wort dürfte dann der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim haben. Die Landesregierung begründet ihre Ablehnung mit Zweifeln an der Rechtstreue der Glaubensgemeinschaft. Zeugen Jehovas stehen dem Staat bekanntlich skeptisch bis ablehnend gegenüber, sie sollen daher nicht an Wahlen teilnehmen. Des weiteren sollen selbst Familienangehörige mit ausgetretenen Mitgliedern den Kontakt abbrechen, wodurch das Land laut einem Gutachten des Justizministeriums „das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens und der Ehe“ sowie das Grundrecht auf Religionsfreiheit beeinträchtigt sieht. Zudem gefährde die Religionsgemeinschaft durch ihre Ablehnung von Bluttransfusionen „Leib und Leben minderjähriger Kinder und Jugendlicher“.

Ist die Glaubensgemeinschaft eine Körperschaft des öffentlichen Rechts?

Eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts hätte für die Zeugen Jehovas den Vorteil, dass sie weniger Steuern und Verwaltungsgebühren zahlen müssten. Zudem unterlägen sie dann teilweise nicht mehr der staatlichen Kontrolle, könnten selbst eine Kirchensteuer erheben und hätten wie die Evangelische und Katholische Kirche das Recht, in Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sitzen.

Der zu erwartende Rechtsstreit in Baden-Württemberg dürfte bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen. 12 der 16 Bundesländer haben die Zeugen Jehovas auf deren Wunsch hin inzwischen rechtlich aufgewertet, weil sie trotz Bedenken keine andere Möglichkeit sahen. Baden-Württembergs Kultusministerium wollte sich dem eigentlich anschließen, stieß aber im Parlament auf breiten Widerstand. Auch Rheinland-Pfalz, Bremen und Nordrhein-Westfalen verweigern bislang eine Anerkennung.

Jene Länder, die kapitulierten, verwiesen vor allem auf ein angeblich wegweisendes Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichtes, das den Zeugen Jehovas im Jahr 2006 nach fast 15-jährigem Rechtsstreit den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannte. Nach Ansicht der Landesregierung in Stuttgart haben die Berliner Richter aber nur unzureichend das Innenleben der Gemeinschaft ausgeleuchtet. Sie verzichteten zum Beispiel darauf, Aussteiger zu befragen. Das Justizministerium in Stuttgart hat dies hingegen bei der Erstellung seines Gutachtens getan.

Sollte der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim zu einem anderen Urteil als die Kollegen in Berlin kommen, würde den Zeugen Jehovas ihr Status vermutlich in den meisten Bundesländern wieder entzogen. Bis zu einem Urteil werden allerdings voraussichtlich wieder Jahre vergehen.

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.glaubensgemeinschaft-nein-zu-zeugen-jehovas.b1fce91b-7ae0-4daa-bfd3-068898f1c011.html

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Veröffentlicht unter Allgemein, Sektenausstieg, Zeugen Jehovas | Verschlagwortet mit , , | 3 Kommentare

Ich wurde mit dem sozialen Tod bestraft

Manchmal spricht Barbara Kohout noch von „uns Zeugen Jehovas“. Obwohl sie ausgestiegen ist, oder genauer, ausgeschlossen wurde aus der Wachturm-Gesellschaft. Dennoch: Das „Wir“, die Gemeinschaft, war 60 Jahre lang ihr Lebensinhalt. „Da schaltet man nicht so einfach um“, sagt sie.

Seit knapp zwei Jahren beschäftigt sich die 72-Jährige sehr kritisch mit der Lehre, die sie jahrelang selbst lebte und verbreitete. Auslöser war ihr Sohn, der nach einer gescheiterten Ehe eine neue Frau fand und die Gemeinschaft verließ. „Scheidungen sind bei den Zeugen zwar möglich, man darf danach aber keinen neuen Partner mehr haben“, sagt Kohout. Weil ihr Sohn den Zeugen Jehovas den Rücken gekehrt hatte, hätte Barbara Kohout den Kontakt zu ihm abbrechen müssen. Eine Regel, die sie ebenso wenig verstand, wie die, warum ein Mensch zeitlebens alleine leben sollte. Barbara Kohout begann zu hinterfragen. Damit begann der Zweifel an dem, was noch kurz zuvor Überzeugung gewesen war.

Mit zehn Jahren kam Barbara Kohout aus Jugoslawien nach Deutschland. „Wir hatten das Gefühl, hier nicht erwünscht zu sein. Eines Tages stand ein Zeuge Jehovas vor der Tür. Er war nett zu uns. Da schlossen wir uns ihnen an.“ Die Religion, sagt die heute 72-Jährige, spielte von da an die wichtigste Rolle in ihrem Leben. Sie wurde Vollzeit-Predigerin, später mit ihrem Mann Sonderbeauftragte der Wachturm-Gesellschaft. „Auch nach der Geburt unserer drei Kinder trafen wir Entscheidungen über Beruf und Lebensmittelpunkt immer im Sinne der Wachturm-Organisation.“

Vielleicht wären Barbara Kohout und ihr Mann von selbst nie ausgestiegen. „Ich habe das alles ja ehrlich geglaubt.“ Doch es gab Fragen, auf die sie Antworten suchte. „Ich sagte: Gebt mir den Beweis, dass die Gemeinschaft von Gottes Geist geleitet wird.“ Diesen Beweis habe sie nie bekommen. Bei den Ältesten der Wachturm-Organisation aber machte sie sich mit diesen Fragen „verdächtig“. Zwei Älteste besuchten sie, „um unsere Gesinnung zu prüfen“. Dann kam der Ausschluss.

Barbara Kohout fiel „in ein tiefes, schwarzes Loch“. Ihre Geschwister und ihre Mutter, die ebenfalls bei den Zeugen Jehovas sind, brachen den Kontakt ab, ebenso Freunde, die sie und ihr Mann in der Gemeinschaft kennen gelernt hatten. „Manche wechselten sogar die Straßenseite, wenn sie mich sahen.“

Die 72-Jährige fühlte sich nicht nur ihres Glaubens, sondern auch all ihrer sozialen Kontakte beraubt. „Ich wurde mit dem sozialen Tod bestraft.“ Helfen konnten ihr in dieser Zeit nur die Gespräche mit ihrer Tochter. „Sie ist vor 15 Jahren ausgestiegen und macht eine Umschulung zur Psychotherapeutin.“ Inzwischen geht es Barbara Kohout besser. Sie hat Bücher geschrieben, um das Erlebte zu verarbeiten. Und sie hat begonnen, sich mit anderen Aussteigern auszutauschen. In Augsburg hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. Sie will aufklären über die Methoden der Zeugen Jehovas, die Kohouts Ansicht nach bewusst Menschen in Krisensituationen ansprechen. „Aus einer solchen Lage heraus entscheidet man sich nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl für den Beitritt zur Gemeinschaft.“ Dass dahinter „psychische Manipulation“ stehe, absolute Abschottung nach außen, das bemerke man erst viel zu spät.

Wer möchte, darf anonym bleiben

In ihrer Selbsthilfegruppe möchte sie Betroffenen die Chance geben, sich auszutauschen, ohne Angst zu haben. Wer nicht möchte, muss seinen Namen nicht nennen. Das Angebot richtet sich nicht nur an (ehemalige) Zeugen Jehovas. „Wer bei einer anderen Gruppierung oder Glaubensgemeinschaft war und das Gefühl hat, dass es ihm so geht wie mir, ist willkommen.“

Quelle: http://www.augsburger-allgemeine.de/

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Veröffentlicht unter Allgemein, Gemeinschaftsentzug, Religionsfreiheit, Sektenausstieg, Zeugen Jehovas | Verschlagwortet mit , | 4 Kommentare

Körperschaftsrechte in Bremen auf dem Prüfstand

Mich erreichte heute eine Einladung des Rechtsausschusses der Bremischen Bürgerschaft zum Mittwoch, den 16. Februar 2011 von 10 bis 17 Uhr. Eingeladen wurden:

Zeugen Jehovas Ausstieg
Austieg eV und
Netzwerk Sektenausstieg eV

Angehört werden sollen wir zu Fragen der Gefährdung von Ehe und Familie, Ausgrenzung von
1. Familenangehörigen, Hinarbeit auf Trennung;
2. Beeinträchtigung der Religionsfreiheit bei Austrittswunsch und
3. Kindeswohl: körperliche Züchtigung, Missbrauchsfällen und Persönlichkeitsentwicklung.

Ich freue mich, dass sich der Rechtsausschuss diese Mühe macht und bitte alle Betroffenen diese Chance zu ergreifen und sich zu Wort zu melden. Damit spreche ich alle Väter an, die ihre Kinder nicht mehr sehen durften, junge Aussteiger, die den Kontakt zur Familie nicht mehr haben dürfen und jene, die mit der Blutfrage konfrontiert waren oder sind. Auch Fälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch. Bitte meldet euch bei mir, damit wir die Fälle darstellen und vortragen können. Laßt diese Chance nicht ungenutzt verstreichen!

Die Fragen im Einzelnen:

2. Gefährdung von Ehe und Familie
(Art. 6 Abs. 1 GG)

– Beeinträchtigt oder gefährdet das Verhalten der Religionsgemeinschaft und deren Mitglieder den gebotenen Schutz der Familie?
– Ausgrenzung der der Religionsgemeinschaft zugehöreigen Familienmitglieder?
– Aktive Hinarbeit auf die Trennung von ehepartnern und Familie?

3. Beeinträchtigung und Gefährdung der Religionsfreiheit
(Art. 4 GG)

Hält die Religionsgemeinschaft austrittswillige Mitglieder in der Gemeinschaft fest?

4. Gefahr von Leib und Leben Erwachsener und Minderjähriger
(Aert. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)

– Gefährdet die Religionsgemeinschaft durch das Verbot der annahme von Bluttransfusionen Leib und Leben Minderjähriger?
– Erschwert oder unterläuft die Religionsgemeinschaft staatliche Schutzmaßnahmen? (§ 1666 BGB: Das Familiengericht kann anstelle der Eltern oder eines anderen Inhabers der elterlichen Sorge die einwilligung zur Bluttransfusion erssetzen.)

5. Kindeswohl

– Körperliche Züchtigung:
Hält die Religionsgemeinschaft zur Verletzung des absoluten Gewaltverbots in der Kindererziehung (§1631 Abs. 2 BGB) an?
– Kindesmissbrauch:
Gibt es bei der Religionsgemeinschaft Fälle des Missbrauchs und lässt der Umgang damit Zweifel an der Rechtstreue aufkommen?
– Schulbildung und Persönlichkeitsentwicklung:
Besteht eine bildungsfeindlcihe Grundhaltung der Religionsgemeinschaft und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für betroffene Kinder?

Soweit die Fragen, zu denen wir gehört werden sollen.

Quelle: Radio-Bremen-TV
mehr: zum Artikel des Blogs

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